Aesthetic Experience in Public History

Ästhetische Erfahrung in der Public History

Abstract: Public History sites often promise that visitors will be able to ‘experience history’. From a historiographical perspective, this claim has repeatedly been criticized. The concept of aesthetic experience developed in popular culture research, however, can provide a more nuanced approach towards the experience of history. In light of these different perspectives, the article discusses the advantages of a cultural studies concept of aesthetic experience for the study of public history.
DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2023-22007
Languages: English

 


„Geschichte erleben“. Eine kurze Internetrecherche nach diesen beiden Stichwörtern ergibt eine Fülle von Ergebnissen, die sowohl die Ubiquität wie auch die Bandbreite dieses Versprechens deutlich machen. Museen und Stadtführungen, Freizeitparks und historische Stätten, Living-History-Aufführungen und VR-Zeitreisen – für alle diese Formen der Public History wird mit der Behauptung geworben, hier könne Geschichte erlebt werden.

Geschichte zwischen „Bildung“ und „Erlebnis“

Manchen Geschichtsdidaktiker:innen ist die Erlebnisorientierung ein Dorn im Auge. Wenn man bei der Auseinandersetzung mit Geschichte Spaß hat, kann man dann überhaupt etwas dabei lernen? In der Populärkulturforschung ist man bildungsbürgerlichen Dünkel gegenüber dem eigenen Forschungsobjekt gewohnt. Das hier entwickelte Konzept der ästhetischen Erfahrung erlaubt es, im Geschichtserlebnis nicht etwa nur oberflächlichen Geschichtskonsum zu erkennen, sondern eine genuine Form der sinnlich-ästhetischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

In einem für die deutsche Diskussion einflussreichen Text hat Bernd Schönemann im Jahr 2000 die drei geschichtskulturellen Leitmuster „Geschichte als Nutzen“, „Geschichte als Bildung“ und „Geschichte als Erlebnis“ voneinander unterschieden.[1] „Geschichte als Nutzen“ habe im Sinne des Leitspruchs „historia magistra vitae“ die vormoderne Geschichtskultur geprägt, während das Bildungsideal als Ergebnis des modernen Geschichtsbewusstseins ab etwa 1800 gelten könne. „Geschichte als Erlebnis“ sei dagegen das Leitmuster der Postmoderne, in der wir uns seit den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts befänden. Schönemann stützte sich bei diesem Befund auf das damals erfolgreiche Buch von Gerhard Schulze über die „Erlebnisgesellschaft“ und erkannte in der „Erlebnisorientierung“ postmoderner Geschichtskonsument:innen ganz offenbar eine Verfallserscheinung gegenüber dem Leitmuster der Bildung.[2]

In den über zwanzig Jahren seit Erscheinen des Schönemann-Texts hat sich die Diskussion erheblich weiterentwickelt und es waren gerade die Debatten um die sich in diesem Zeitraum auch in Deutschland etablierende Public-History-Forschung, die zu einer differenzierteren Bewertung der Erlebnisorientierung in der Geschichtskultur geführt haben. Solange allerdings auch die Public-History-Forschung noch „geschichtsdidaktische Standards“[3] definiert, an denen sie die Produkte der Public History misst, solange scheint mir die Gegenüberstellung von „Geschichte als Bildung“ und „Geschichte als Erlebnis“ nicht gänzlich überwunden. Ich halte diese Gegenüberstellung jedoch nicht für produktiv, da sie wenig zur Beantwortung der Frage beiträgt, was genau es eigentlich bedeuten kann, Geschichte zu erleben. Mit dem in der Populärkulturforschung vor allen Dingen von Kaspar Maase ausformulierten Konzept der ästhetischen Erfahrung kann man der Beantwortung dieser Frage dagegen näherkommen.

Ästhetische Erfahrung in der Populärkultur

In seiner Einführung in die Populärkulturforschung definiert Maase Populärkultur ganz allgemein als „Praxis im Feld ästhetischen Produzierens, Erlebens und Genießens“.[4] In Bezug auf die Produkte der Populärkultur spricht er von den „Massenkünsten“ oder auch „populären Künsten“.[5] Der von ihm verwendete Ästhetikbegriff stammt also durchaus aus dem Kunstkontext. Entscheidend ist jedoch, dass es Maase dabei nicht um die Analyse und Bewertung von Kunstwerken nach Schönheits- oder anderen normativen Kriterien geht, sondern um die Frage, welche Arten von Erfahrung Menschen im Umgang mit diesen Werken machen.

Dieser Wechsel vom „Kunstparadigma“, bei dem die Werkanalyse im Zentrum steht, zum „Kulturparadigma“, bei dem es um die Frage nach ästhetischen Praktiken und Erfahrungen geht, [6] unterläuft zugleich das Problem der Hierarchisierung. Für die Frage nach der ästhetischen Erfahrung ist es letztlich irrelevant, ob sie sich an ein Werk der ‚ernsten‘ oder der ‚Unterhaltungskunst‘ knüpft – selbst wenn sich die Arten der ästhetischen Praxis und Erfahrung in den unterschiedlichen Kunstfeldern unterscheiden mögen.

Der zweite wichtige Punkt liegt in der Erweiterung des Ästhetikbegriffs hin zu einer allgemeinen Lehre von der „sinnlichen Erkenntnis“.[7] Ästhetische Erfahrungen werden aktiv gemacht, indem „einzelne sinnliche Eindrücke oder Vorstellungen aus dem Fluss des Wahrnehmens und der Befindlichkeit“ herausgenommen und „mit Emotionen, Bedeutungen und Wissen“ verknüpft werden.[8] Dem liegt die Auffassung zugrunde, so Maase weiter, „dass sinnliche Wahrnehmung keine ‚begriffslose Rezeptivität‘ bezeichnet, sondern eine von Gefühlen und Denkakten nicht abtrennbare, immer auch aktive Auseinandersetzung mit der sinnlich gegebenen Welt“.[9] Ästhetische Erkenntnis lässt sich also durchaus von „sprachlich-rational-diskursiver Wissensgewinnung“ unterscheiden, produziert aber ein eigenes „sinnlich-körperliches Wissen“.[10]

Ästhetische Erfahrung in der Public History

Was lässt sich von diesem Ansatz aus der Populärkulturforschung nun in die Public-History-Forschung übernehmen? Zunächst sollte klar geworden sein, dass es bei der Frage nach der ästhetischen Erfahrung in der Geschichtskultur bzw. der Public History nicht um das Verhältnis von Public History und Kunst im engeren Sinn geht.[11] Im Anschluss an Maase lassen sich Orte und Medien der Public History vielmehr als Angebote verstehen, denen sich Menschen mit dem Wunsch nach ästhetischer Erfahrung zuwenden, um sich im Modus dieser ästhetischen Erfahrung in ein sinnlich-emotionales Verhältnis zur Vergangenheit zu setzen. Im Sinne der „sinnlichen Erkenntnis“ steht diese ästhetische Erfahrung einem kognitiven Wissenserwerb jedoch nicht entgegen, sondern ist komplementär zu ihm und produziert eine eigene Form des Geschichtswissens.[12]

Anstatt im Rahmen eines „Lernparadigma“ danach zu fragen, welche historischen Inhalte in den einzelnen Produkten der Public History wie vermittelt werden und was davon bei den Rezipient:innen ankommt, kann man im Rahmen eines „Erfahrungsparadigmas“ eher danach fragen, was die Menschen mit den Angeboten der Public History eigentlich machen und wie sie sie sich sinnlich aneignen.[13] In dieser Perspektive überrascht die Ubiquität des Versprechens, Geschichte erleben zu können, nicht mehr. Sie ist vielmehr als Indiz zu werten, dass die meisten Anbieter von Public-History-Produkten die Zentralität der Erfahrungsdimension in der sinnlich-ästhetischen Auseinandersetzung mit Geschichte erkannt haben. Diese Erkenntnis sollte auch in der Public-History-Forschung Raum greifen.

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Literaturhinweise

  • Arendes, Cord, Stefanie Samida: Ästhetik und/oder öffentliche Geschichte: Verflechtungen. In: Public History Weekly 10 (2022) 6, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2022-20323.
  • Kaspar Maase, Populärkulturforschung. Eine Einführung (Bielefeld: transcript, 2019).
  • Kaspar Maase (Hg.), Die Schönheit des Populären. Ästhetische Erfahrung der Gegenwart (Frankfurt a.M./New York: Campus, 2008).

Webressourcen

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[1] Bernd Schönemann, „Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur,“ in: Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik, hg. v. Bernd Mütter, Bernd Schönemann und Uwe Uffelmann (Weinheim: Deutscher Studienverlag, 2000), 26–58, hier 47–50.
[2] Vgl. Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart (Frankfurt a.M./New York: Campus, 1992).
[3] Martin Lücke und Irmgard Zündorf, Einführung in die Public History (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018), 45.
[4] Kaspar Maase, Populärkulturforschung. Eine Einführung (Bielefeld: transcript, 2019), 10.
[5] Ebd., 73.
[6] Ebd., 77.
[7] Kaspar Maase, „Überlegungen zum ästhetischen Wahrnehmen, Erleben und Erfahren als Kontinuum,“ in „Bring Me That Horizon!“ Neue Perspektiven auf Ästhetik und Praxis populärer Literaturen und Medien, hgg. v. Brigitte Frizzoni und Christine Lötscher (Zürich: Chronos, 2020), 23–32, hier 25. Maase bezieht sich an dieser Stelle auf den Aufklärer Alexander Gottlieb Baumgarten, der als Begründer der Ästhetik als philosophischer Disziplin gilt.
[8] Maase, Populärkulturforschung, 86.
[9] Ebd. Maase zitiert hier Bernd Kleimann, Das ästhetische Weltverhältnis. Eine Untersuchung zu den grundlegenden Dimensionen des Ästhetischen (München: Wilhelm Fink, 2002).
[10] Maase, „Überlegungen“, 25.
[11] Vgl. dazu PHW 10 (2022) 6: Aesthetics and/as Public History: Entanglements. https://public-history-weekly.degruyter.com/10-2022-6/aesthetics-public-history/ (letzter Zugriff 12.06.2023).
[12] Vgl. dazu auch das Kapitel „Erlebnis und Erfahrung,“ in Christine Gundermann [et al.], Schlüsselbegriffe der Public History (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021), 99–120.
[13] Vgl. zur Kritik des Lernparadigmas und zum Aneignungsbegriff in diesem Kontext auch Julian Genten, DDR im Museum. Wie Besucher*innen sich Ausstellungen zur ostdeutschen Geschichte aneignen (Bielefeld: transcript, 2023) (im Erscheinen).

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Abbildungsnachweis

Mit seinen historischen Rekonstruktionen setzt auch das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven auf das Erleben von Geschichte. © Deutsches Auswandererhaus

Empfohlene Zitierweise

Morat, Daniel: Ästhetische Erfahrung in der Public History. In: Public History Weekly 11 (2023) 6, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2023-22007.

Redaktionelle Verantwortung

Cord Arendes / Stefanie Samida

“Experience history.” A brief Internet search for these two keywords yields a wealth of results that highlight both the ubiquity and the breadth of this promise. Museums and city tours, theme parks and historic sites, living history performances and VR time travel – all of these forms of public history are advertised with the claim that history can be experienced.

History Between “Education” and “Experience”

Some history educators see the experimental history as a problem: if dealing with history is fun, how will you learn anything? In the field of popular culture research, one is accustomed to a certain conceit towards one’s own object of research. The concept of aesthetic experience developed in popular culture research, however, allows to perceive in the experience of history not only a superficial consumption of history, but a genuine form of sensory-aesthetic engagement with the past.

In an essay that was influential for the German discussion, Bernd Schönemann distinguished in 2000 three different guiding patterns in historical culture: “history as utility,” “history as education,” and “history as experience”.[1] According to Schönemann, “history as utility” has shaped pre-modern historical culture in the sense of the motto “historia magistra vitae”, while the educational ideal can be considered the result of modern historical consciousness from about 1800 onwards. “History as experience,” on the other hand, is the guiding pattern of postmodernism, in which we still live and which dates back to the last decades of the 20th century. Schönemann based this assessment on the then successful book by Gerhard Schulze on the “experience society” and recognized in the “experience orientation” of postmodern history consumers a sign of decay compared to the guiding pattern of education.[2]

In the more than twenty years since the publication of Schönemann’s text, the discussion has developed considerably, and it was precisely the debates about public history research, which established itself in Germany during this period, that led to a more differentiated evaluation of the orientation towards experience in historical culture. However, as long as public history research continues to define “didactic standards”[3] against which it measures the products of public history, the juxtaposition of “history as education” and “history as experience” does not seem to have been completely overcome. I do not consider this juxtaposition productive, as it does little to answer the question of what exactly it can actually mean to experience history. In contrast, the concept of aesthetic experience, which has been formulated in popular culture research above all by Kaspar Maase, can help us to come closer to answering this question.

Aesthetic Experience in Popular Culture

In his introduction to popular culture research, Maase defines popular culture in general terms as “practice in the field of aesthetic production, experience, and pleasure.”[4] In reference to the products of popular culture, he speaks of the “mass arts” or “popular arts.”[5] His concept of aesthetics therefore derives from the context of art. Crucially, however, Maase is not concerned with analyzing and evaluating works of art according to beauty or other normative criteria, but with the question of what kinds of experience people have when dealing with these works.

This shift from the “art paradigm,” which focuses on the analysis of works, to the “cultural paradigm,” which is concerned with the question of aesthetic practices and experiences,[6] simultaneously undercuts the problem of hierarchization. It is ultimately irrelevant to the question of aesthetic experience whether it attaches itself to a work of “serious” or “entertainment” art – even if the kinds of aesthetic practice and experience may differ in the different fields of art.

The second important point lies in the extension of the concept of aesthetics to a general doctrine of “sensory knowledge”.[7] Aesthetic experiences are actively made by taking “individual sensory impressions or ideas out of the flow of perception and state of mind” and linking them “with emotions, meanings, and knowledge.”[8] This is based on the view, Maase continues, “that sensory perception does not denote ‘conceptless receptivity’, but rather an engagement with the sensually given world that cannot be separated from feelings and acts of thought and is always active as well.”[9] Aesthetic cognition can thus certainly be distinguished from “linguistic-rational-discursive knowledge acquisition,” but it produces its own form of “sensuous-bodily knowledge.”[10]

Aesthetic Experience in Public History

What can we adopt from this popular culture research approach to public history research? First, it should have become clear that the question of aesthetic experience in historical culture or public history does not concern the relationship between public history and art in the narrow sense.[11] Following Maase, sites and media of public history can rather be understood as offerings to which people turn with the desire for aesthetic experience in order to put themselves in a sensory and emotional relationship to the past in the mode of this aesthetic experience. In the terms of “sensory knowledge,” however, this aesthetic experience does not oppose a cognitive process of acquiring knowledge, but is complementary to it and produces its own form of historical knowledge.[12]

Instead of asking – within the framework of a “learning paradigm” – which historical content is conveyed in the individual products of public history and how, and what of it finds its way to the recipients, one can rather ask – within the framework of an “experience paradigm” – what people actually do with the offerings of public history and how they appropriate them with their senses.[13] In this perspective, the ubiquity of the promise of being able to experience history is no longer surprising. Rather, it should be seen as an indication that most providers of public history products have recognized the centrality of the experiential dimension in the sensory-aesthetic engagement with history. This recognition should also take hold in public history research.

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Further Reading

  • Arendes, Cord, Stefanie Samida: “Aesthetics and/as Public History: Entanglements”. In: Public History Weekly 10 (2022) 6, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2022-20323.
  • Maase, Kaspar, Populärkulturforschung. Eine Einführung (Bielefeld: transcript, 2019).
  • Maase, Kaspar (Ed.), Die Schönheit des Populären. Ästhetische Erfahrung der Gegenwart (Frankfurt a.M./New York: Campus, 2008).

Web Resources

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[1] Bernd Schönemann, “Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur,” in Geschichtskultur. Theorie – Empirie – Pragmatik, eds. Bernd Mütter, Bernd Schönemann, and Uwe Uffelmann (Weinheim: Deutscher Studienverlag, 2000), 26–58, here 47–50. [All translations of German quotes by the author.]
[2] Cf. Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart (Frankfurt a.M./New York: Campus, 1992).
[3] Martin Lücke and Irmgard Zündorf, Einführung in die Public History (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018), 45.
[4] Kaspar Maase, Populärkulturforschung. Eine Einführung (Bielefeld: transcript, 2019), 10.
[5] Ibid., 73.
[6] Ibid., 77.
[7] Kaspar Maase, “Überlegungen zum ästhetischen Wahrnehmen, Erleben und Erfahren als Kontinuum,” in “Bring Me That Horizon!” Neue Perspektiven auf Ästhetik und Praxis populärer Literaturen und Medien, eds. Brigitte Frizzoni and Christine Lötscher (Zürich: Chronos, 2020), 23–32, here 25. With this term, Maase refers to the Enlightenment philosopher Alexander Gottlieb Baumgarten, who is considered the founder of aesthetics as a philosophical discipline.
[8] Maase, Populärkulturforschung, 86.
[9] Ibid. Here, Maase quotes Bernd Kleimann, Das ästhetische Weltverhältnis. Eine Untersuchung zu den grundlegenden Dimensionen des Ästhetischen (München: Wilhelm Fink, 2002).
[10] Maase, “Überlegungen”, 25.
[11] For this, cf. PHW 10 (2022) 6: Aesthetics and/as Public History: Entanglements. https://public-history-weekly.degruyter.com/10-2022-6/aesthetics-public-history/ (latest accessed 12.06.2023).
[12] Cf. The chapter “Erlebnis und Erfahrung” in Christine Gundermann [et al.], Schlüsselbegriffe der Public History (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2021), 99–120.
[13] For a critique of the “learning paradigm” and for the notion of “appropriation” (Aneignung) in this context, cf. Julian Genten, DDR im Museum. Wie Besucher*innen sich Ausstellungen zur ostdeutschen Geschichte aneignen (Bielefeld: transcript, 2023) (forthcoming).

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Image Credits

With its true-to-life exhibitions, the Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven also emphasizes the experience of history. © Deutsches Auswandererhaus

Recommended Citation

Morat, Daniel: Aesthetic Experience in Public History. In: Public History Weekly 11 (2023) 6, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2023-22007.

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Cord Arendes / Stefanie Samida

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DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2023-22007

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    OPEN PEER REVIEW

    Aber geht es tatsächlich um Erfahrung?

    Dem Artikel und seinem Anliegen kann ich nur mit allergrößter Emphase zustimmen. Danach zu fragen „what people actually do with the offerings of public history and how they appropriate them with their senses“, scheint mir eine wichtige Aufgabe, eine überfällige Aufforderung und ein vielversprechendes Forschungsfeld. Ich würde es sogar noch weiter denken: Nicht nur der Wahrnehmung dessen, was eine ‚Public History bereitstellt‘, sollte mehr Aufmerksamkeit zuteil werden. Es lohnt sich ganz grundsätzlich stärker in den Blick zu nehmen, auf welche Weise die Welt als historisch wahrgenommen wird. Dass es sich dabei nicht nur um eine rein kognitive Praxis handelt und dass sie nicht auf professionelle Historiker*innen beschränkt ist, macht der Artikel vollends plausibel.

    Nun ist dieses Anliegen zwar weitgehend uneingelöst, aber auch nicht ganz neu. Im hier gegebenen Zusammenhang wird es der Public-History-Forschung empfohlen. Fair enough. Aber es gibt durchaus geschichtsdidaktische und -theoretische Forschung, die sich mit einer rezeptionsästhetischen Blickrichtung historischer Erfahrung gewidmet hat: Markus Bernhardt und Johannes Grave zur historischen Bildwahrnehmung, Julia Thyroff und Hannah Röttele zum Museumsbesuch und dann ist da noch die theoretische Beschäftigung mit historischer Sinnbildung bei Jörn Rüsen und mit historischer Erfahrung bei Frank Ankersmit, David Carr oder im Sammelband von Lale Yildirim und Jörg van Norden oder mit dem Ästhetischen bei Bodo von Borries. Trotz dessen: ja, das sind eher die Ausnahmen.[1]

    Man kann durchaus anerkennen, dass es mit der ästhetischen Dimension des Historischen oder auch mit der historischen Erfahrung oder auch dem „sensory-aesthetic engagement with history“ nicht so ganz einfach ist. Vermutlich wird die Forderung, sich stärker damit zu beschäftigen, wenig Widerspruch ernten, das theoretisch-konzeptionelle Netz aber ist ausgesprochen verworren.

    Ästhetik, Erfahrung, Wahrnehmung

    Worum geht es einer Beschäftigung mit der „Aesthetic Experience in Public History“? Die im Raum stehenden Begriffe, die auch im Artikel weitgehend synonym benutzt werden, weisen teils in verschiedene Richtungen. Da ist die Ästhetik selbst. Philosophisch hat der Begriff eine große Tradition und Klarheit. Importiert man ihn in geschichtstheoretische Zusammenhänge, wird er meist als das Schöne verstanden – eine Enge, die er seit dem 18. Jahrhundert im Gefolge von Baumgarten verpasst bekommen hat. „Wird Zeit, dass die Schulbücher und Tafelbilder nicht mehr so hässlich sind“ meinte ein geschätzter Kollege zu mir, der den Titel eines meiner Aufsätze gelesen hatte.[2] Darum geht es auch im hier vorliegenden Fall ganz nachvollziehbar nicht.

    Geht es aber tatsächlich um Erfahrung? Der Begriff hat viel Potential, wird aber nicht selten jenseits seines phänomenologischen Gehalts benutzt. Dabei muss man so vieles mitbedenken und findet sich in einem wild schnatternden Haufen kluger Denker wieder: Huizinga und Ankersmit, Rüsen und Völkel, Husserl und Heidegger.[3] Eine stimmige und akzeptierte Theorie historischer Erfahrung steht aber bisher noch aus.

    Der schlichteste Begriff, den man für das hier Angesprochene finden kann, dürfte der der Wahrnehmung sein, ganz in dem Sinne, der hier mit Bezug auf Kaspar Maase vorgestellt wird: „actively made by taking ‚individual sensory impressions or ideas out of the flow of perception and state of mind‘ and linking them ‚with emotions, meanings, and knowledge‘.“ Das in den Blick zu nehmen, dürfte gerade auch im Zusammenhang des Historischen höchst erhellend sein: Warum, unter welchen Umständen und Voraussetzungen setzen Menschen ihre Gegenwärtigkeit mit anderen Zeitdimensionen in Beziehung, gerade auch mit dem Vergangenen? Wie entstehen dabei Geschichten und wie werden diese Geschichten mit anderen Geschichten, mit den Geschichten anderer verhandelt? Wie steht diese Praxis des Repräsentierens, des in-die-Gegenwart-Holens, zum Verdrängen und Vergessen? Welche individuellen, gesellschaftlichen, politischen Prozesse werden dabei verwoben? Unter welcher Reichweite geschieht das alles, von microstoria bis Big History?

    Bildung vs. Erleben?

    Nimmt man diese und ähnliche Fragen ernst, wird es weniger von den Strohpuppen brauchen, die im Artikel vor dem Gegensatz educationexperience aufgebaut werden. Kaspar Maase hat als Kulturwissenschaftler eine Populärkultur der ‚kleinen Leute‘ und ihr Erleben einer Opernhaus-Kulturwissenschaft (etwas frei nach Peter Burke) gegenübergestellt. Aber das war eine Kampflinie der 1990er Jahre. Didaktik wird im Artikel darauf verengt, Public History lediglich auf das zu durchforsten, was für schulische Zwänge standardisierbar ist. Ich kenne (beinahe) keine/n Didaktiker/in, die eine solche Zuschreibung als angemessen empfinden würden. Die Geschichtsdidaktik pflegt deutlich stärker Forschungszugänge, die sich dem Lernen statt dem Lehren widmen, mithin also Aneignungsprozessen.

    Unterm Strich aber richtet der Artikel die Aufmerksamkeit auf Zugänge, denen viel Erkenntnis auf einem Feld zuzutrauen ist, das noch sehr unbeackert ist und von dessen Erträgen nicht nur Public History und Geschichtsdidaktik, sondern die Geschichtswissenschaft überhaupt profitieren dürfte.

    —–

    But is it really about experience?

    I can only agree with the article and its concern with the greatest emphasis. To ask “what people actually do with the offerings of public history and how they appropriate them with their senses” seems to me an important task, an overdue call and a promising field of research. I would think even further: not only the perception of what a ‘public history offers’ should be given more attention. It is fundamentally worthwhile to take a closer look at the ways in which the world is perceived as historical. The article makes it entirely plausible that this is not just a purely cognitive practice and that it is by no means limited to professional historians.

    Now this concern is largely unfulfilled, but it is also not entirely new. In the context given here, it is commended to public history research. Fair enough. But there is certainly research in history didactics and theory that has taken a reception-theory-view on historical experience: Markus Bernhardt and Johannes Grave on image perception, Julia Thyroff and Hannah Röttele on museum visits, and there is the theoretical study of historical meaning formation by Jörn Rüsen and of historical experience by Frank Ankersmit, David Carr or in the anthology by Lale Yildirim and Jörg van Norden, or of the aesthetic by Bodo von Borries. Despite this: yes, these are rather the exceptions.[1]

    One can certainly acknowledge that it is not so easy with the aesthetic dimension of the historical or with historical experience or with the “sensory-aesthetic engagement with history”. Presumably, the demand to deal with this more intensively will not earn much opposition, but the theoretical-conceptual network is extremely tangled.

    Aesthetics, experience, perception

    What is the point of dealing with “Aesthetic Experience in Public History”? The terms in the room, which are also largely used synonymously in the article, point in different directions. There is aesthetics itself. Philosophically, the term has a great tradition and clarity. If one imports it into historical-theoretical contexts, it is usually understood as the beauty – a narrowness that it has been given since the 18th century in the wake of Baumgarten. “It’s about time the schoolbooks and blackboard pictures were no longer so ugly,” said an colleague to me who had read the title of one of my essays.[2] Quite understandably, that is not what this case is about either.

    But is it really about experience? The term has a lot of potential, but is often used beyond its phenomenological content. In doing so, one has to consider so many things and finds oneself in a wildly chattering bunch of clever thinkers: Huizinga and Ankersmit, Rüsen and Völkel, Husserl and Heidegger.[3] But a coherent and accepted theory of historical experience has yet to emerge.

    The simplest concept that can be found for what is being discussed here is probably that of perception, in the sense presented here with reference to Kaspar Maase: “actively made by taking ‘individual sensory impressions or ideas out of the flow of perception and state of mind’ and linking them ‘with emotions, meanings, and knowledge’.” Taking a look at this should be highly illuminating, especially in the context of history: Why, under what circumstances and preconditions do people relate their presentness to other dimensions of time, especially to the past? How do stories emerge and how are these stories negotiated with other stories, with the stories of others? How does this practice of representing, of bringing into the present, relate to repression and forgetting? What individual, social, political processes are interwoven in the process? What is the scope of all this, from microstoria to Big History?

    Education vs. experience?

    If we take these and similar questions seriously, we will need fewer of the straw dolls that are set up in the article before the opposition between education and experience. Kaspar Maase, as a cultural anthropologist, has contrasted a popular culture of the ‘ordinary people’ and their experience with an opera-house-cultural-studies (somewhat loosely based on Peter Burke). But that was a battle line of the 1990s. Didactics is narrowed in the article to merely sifting through public history for what can be standardized for school constraints. I know of (almost) no didacticians who would consider such an attribution appropriate. Didactics of history cultivates much stronger research approaches that are dedicated to learning rather than teaching, i.e. processes of appropriation.

    The bottom line, however, is that the article directs attention to approaches that can be trusted with a great deal of knowledge in a field that is still very much untapped and from whose results not only public history and history didactics, but historical scholarship in general should profit.

    ______

    [1] Cf. Markus Bernhardt, “‚Sehen kann jeder!‘ Zu einem Irrtum der geschichtsdidaktischen Bildinterpretation,“ in Bildung durch Bilder. Kunstwissenschaftliche Perspektiven für den Deutsch-, Geschichts- und Kunstunterricht, hgg. v. Klaus Krüger und Karin Kranhold (Bielefeld: transcript, 2018), 209–230; Johannes Grave, Bild und Zeit. Eine Theorie des Bildbetrachtens (München: C.H. Beck, 2022); Julia Thyroff, Aneignen in einer historischen Ausstellung. Eine Bestandsaufnahme von Elementen historischen Denkens bei Besuchenden der Ausstellung “14/18. Die Schweiz und der Grosse Krieg” (Bern: hep, 2020); Hannah Röttele, Objektbegegnungen im historischen Museum. Eine empirische Studie zum Wahrnehmungs- und Rezeptionsverhalten von Schüler_innen (München: kopaed, 2020); Frank R. Ankersmit, Die historische Erfahrung (Berlin: Matthes & Seitz, 2012); David Carr, Experience and History. Phenomenological Perspectives on the Historical World (Oxford: Oxford UP, 2014); Jörg van Norden und Lale Yildirim (Hg.), Historische Erfahrung (Frankfurt: Wochenschau, 2022); Bodo von Borries: Zwischen “Genuss” und “Ekel”: Ästhetik und Emotionalität als konstitutive Momente historischen Lernens (Schwalbach/Ts.: Wochenschau, 2014).

    [2] Lars Deile, “Auf dem Weg zu einer Ästhetik historischen Lernens, ” in Martin Buchsteiner und Martin Nitsche (Hg.), Historisches Erzählen und Lernen. Historische, theoretische, empirische und pragmatische Erkundungen (Wiesbaden: Springer VS, 2016), 103–120.

    [3] Cf. Johan Huizinga, “Museumwezen, Monumentenzorg, Actualiteiten,” in Verzamelde Werken II (Haarlem: Tjeenk Willink, 1948), 557–569; Frank R. Ankersmit, Sublime historical experience (Stanford: Stanford UP, 2005); Jörn Rüsen, Historische Orientierung. Über die Arbeit des Geschichtsbewusstseins, sich in der Zeit zurechtzufinden (Schwalbach/Ts.: Wochenschau, 2008); Bärbel Völkel, Inklusive Geschichtsdidaktik. Vom inneren Zeitbewusstsein zur dialogischen Geschichte (Schwalbach/Ts.: Wochenschau, 2017); Edmund Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins. Mit den Texten aus der Erstausgabe und dem Nachlaß, hgg. v. Rudolf Bernet (Hamburg: Meiner, 2013); Martin Heidegger, Sein und Zeit (Tübingen: Niemeyer, 2001 [1927]).

  2. To all readers we recommend the automatic DeepL-Translator for 22 languages. Just copy and paste.

    Zur ästhetischen Dimension und „der“ Geschichtsdidaktik

    So wichtig die Überlegungen zur ästhetischen Erfahrung im Kontext einer vielgestaltigen Public History sind, so sehr konstruiert der Autor mit dem „Lernparadigma“ der Geschichtsdidaktik und ihren vermeintlichen „Standards“ einen Pappkameraden. So darf daran erinnert werden, dass die ästhetische Dimension innerhalb des geschichtsdidaktischen Diskurses bereits früh als eine zentrale Dimension des geschichtskulturellen Rahmens modelliert wurde, etwa bei Jörn Rüsen, Peter Knoch und Bodo von Borries. Dass „die“ Geschichtsdidaktik bislang trotzdem keinen rechten Zugang zu dieser ästhetischen Dimension der Geschichtskultur und ihrem relationalen Charakter gefunden hat, stimmt gleichwohl.

    Zwar wurden ästhetische Manifestationen, etwa Historienmalerei, Fotografie und Film, bereits früh als Gegenstände historischen Lernens thematisiert, allerdings blieb ihr relationaler Charakter aus aneignungstheoretischer Perspektive bis auf wenige Ausnahmen weitgehend unberücksichtigt. Im Kontext einer erneuerten geschichtsdidaktischen Konzeption historisch-politischer Bildung jedoch sind es gerade diese Relationierungen, also die Praktiken der Vermittlung und Aneignung, die ins Zentrum auch der geschichtsdidaktischen Aufmerksamkeit rücken [1]. Diese Begegnungen verweisen nämlich auf eine andere Dimension historisch-politischer Bildung, die sich in der Reflexion des „Verhältnis zwischen dem wirklichen und dem möglichen Ich“ (Klaus Mollenhauer) vollzieht und im Vorbehalt gegenüber der kognitiven Dimension der erzählten Geschichte(n), seine Entsprechung findet. Es sind dies Bildungsbewegungen im Zwischenraum, zwischen einem Nicht-Mehr und einem Noch-Nicht [2]. Die ästhetische Erfahrung vollzieht sich dann als gegenwärtige Vermittlung und Aneignung von Geschichte(n), die sinnlich und emotional affizieren, stellt aber gerade kein, wie der Autor schreibt, „sinnlich-emotionales Verhältnis zur Vergangenheit“ dar. Das Dazwischen ist dann mittendrin und lässt sich wohl nur gegenwärtig, als Ort des Gegenwärtigwerdens, verstehen. Hier wird nicht begründet, vielmehr werden Möglichkeiten aufgezeigt, symbolische Ordnungen in Schwingung gebracht, Unruhe erzeugt und Alternativen auf das was war, ist und sein könnte, gezeigt.

    Und so verfängt auch der vom Autor zugrunde gelegte Vermittlungsbegriff nicht. Denn diese Kritik trifft nur, wenn man Vermittlung als Übertragungsgeschehen versteht, das einem postalischen Prinzip unterliegt und dem ein telelogisches Moment innewohnt. Kommunikation wird dann als zielgerichtet verstanden, die Mitteilung gelangt von a nach b. Aneignungstheoretisch allerdings ließe sich Vermittlung auch als das Geschehen dazwischen verstehen, als der Ort, an dem Sinn zwischen etwas und jemand verhandelt wird, etwas im besten Sinne vermittelt wird. Geschichte(n) wäre dann das Vermittelte, der Effekt einer Praxis des Aneignens und der historisch-politischen Sinnbildung, nämlich Positionierungen in der konkreten Gegenwart, indem Vergangenheiten und mögliche Zukünfte relationiert werden und sich so zu neuen, ganz gegenwärtigen Geschichte(n) figurieren.

    [1] Heuer, Christian: Lost in Transition? – Über historische Bildung. In: Public History Weekly 10 (2022) 4, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2022-20088.
    [2] Breser, Britta, Heuer, Christian, Marschnig, Georg: Krisen erzählen – Über die Orientierungsfunktion historisch-politischer Bildung. In: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften 13 (2022), S. 37-55.

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