Abstract: Whenever a new history textbook appears on the market, it makes you satisfied because it raises hopes that a modern, curriculum-appropriate implementation of historical learning is being offered. That is what happened to me recently at a conference in Austria. A very familiar textbook series presented itself in a new guise. The same team, a different cover and a new table of contents, which at first glance seemed to be in line with the new Austrian curriculum for lower secondary education,[1] seemed to promise much.
DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2018-12361.
Languages: English, Deutsch
Wenn ein neues Geschichtsschulbuch auf den Markt kommt, freut man sich, da damit die Hoffnung verbunden ist, dass eine moderne, dem Lehrplan entsprechende Umsetzung historischen Lernens angeboten wird. So erging es mir vor kurzem auf einer Tagung in Österreich. Eine altbekannte Schulbuchreihe präsentierte sich in neuem Gewand. Gleiches Team, anderes Cover und ein neues Inhaltsverzeichnis, das dem neuen österreichischen Lehrplan für die Sekundarstufe I[1] auf den ersten Blick zu entsprechen scheint, ließen die Hoffnungen wachsen.
Lustige Geschichten statt Kompetenzen
Blättert man in das Buch hinein, wird man jedoch enttäuscht. Man begegnet nämlich letztlich den alten Konzepten. An vielen Stellen schillert es durch, dass die Autor*innen kein differenziertes Verständnis von Vergangenheit und Geschichte besitzen oder dieses nicht präsentieren wollen. Wird die Unterscheidung zwischen Geschichte und Vergangenheit gar als zu anspruchsvoll für die Sekundarstufe I angesehen? Die vom Lehrplan eingeforderten Momente (z.B. “Unterscheidung zwischen Geschichte und Vergangenheit herausarbeiten” oder “Quellen und Darstellungen hinsichtlich ihrer Charakteristika unterscheiden”) sind marginal oder überhaupt nicht auffindbar. Die neue Ausrichtung des Lehrplans 2016 wirkt nahezu lästig. Die Ziele werden eher versteckt und an den Rand gedrückt, als dass man sie aufgreift und in den Mittelpunkt stellt. Ohne hier weiter ins Detail zu gehen, bleibt man als Geschichtsdidaktiker*in ratlos zurück. Ist das die Reaktion auf einen im Vergleich zu früheren Versionen weit detaillierteren Geschichtslehrplan, der die Teilkompetenzen stärker ausweist?
Der neue österreichische Lehrplan für das Fach “Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung” sieht erstmalig ein differenziertes Konglomerat aus fachspezifischen Kompetenzen und Konzepten sowie thematischen Konkretisierungen vor, deren Anbahnung ein Geschichtsschulbuch entlang der ministeriellen Verordnung umzusetzen hat. Wird historisches Denken im Paradigma einer narrativistischen Geschichtstheorie eingefordert, ist es notwendig, anhaltend daran zu arbeiten und das Konzept nicht schon bei den ersten “lustigen Aufgaben” im Buch in einer unklaren Vermengung zwischen Ficta und Facta zu hintergehen (z.B. “Schreibe eine steinzeitliche Jagdgeschichte in dein Heft.”).
Schulbücher sind big business
Vielleicht konzentriert sich die Geschichtsdidaktik aber zu sehr auf das Medium als Lehr- und Lernwerk. Ein Geschichtsschulbuch ist nämlich auch ein wirtschaftliches Produkt, das gekauft werden will. Der Schulbuchmarkt in Österreich dürfte dafür durchaus finanziell interessant sein. Manche Schulbuchverlage drängen mit bis zu drei Geschichtsschulbuchreihen auf den Markt. Im Schuljahr 2017/18 konnte man für die Sekundarstufe I aus einem Angebot von 17 Geschichtsschulbuchreihen auswählen. In diesem Zusammenhang muss aber gefragt werden, ob angesichts der Resultate, die von manchen Verlagen präsentiert werden, nicht mehr Geld in die fachdidaktische Entwicklung fließen müsste. Die geschichtsdidaktische Profilierung der Schulbücher ist in Österreich – sieht man von einigen Ausnahmen ab – nämlich durchaus als flach einzustufen. Auch die Verkaufszahlen dürften für einige Reihen eher dünn sein oder gar gegen Null gehen, wie Erhebungen im Rahmen des CAOHT-Projektes zeigten: Wenige – und nach fachdidaktischen Kriterien nicht unbedingt die besten – Lehrmittel dominieren den Markt.[2]
Es ist einleuchtend, dass jede Schulbuchentwicklung Geld kostet, egal ob es sich um eine Neuentwicklung oder eine Abänderung eines alten Konzeptes handelt. Doch dieses Risiko hat der Verlag zu tragen, nicht der Staat und schon gar nicht die Schüler*innen. Das Bundesministerium etwa mit ökonomischen Argumenten unter Druck zu setzen, wie ich es selbst schon in Sitzungen zwischen dem Ministerium und den Verlagen erlebt habe, finde ich sehr problematisch. Auch das Argument, dass es dann eben keine Geschichtsschulbücher gäbe, ist angesichts eines übersättigten Marktes kaum angsteinflößend. Was Österreich braucht, ist nicht mehr vom Gleichen, sondern Schulbücher, die den Lehrplan umsetzen und dabei den Erkenntnisstand der fachlichen und fachdidaktischen Forschung konsequent berücksichtigen.
Naives Resignieren?
Doch wie steht es mit der Qualität der Geschichtsschulbücher und wer garantiert sie? In Österreich wird diese Aufgabe an Kommissionen übertragen, die aus Lehrer*innen bestehen. Dort mögen fähige Köpfe sitzen, doch viele Momente werden auch ihnen entgehen. Es ist oft – so hat man von außen den Eindruck – individuellen und wechselnden Vorlieben vorbehalten, welches Buch aus welchen Gründen den Weg in die Schule findet.[3] Von Ablehnungen von zur Prüfung eingereichten Schulbüchern hört man nahezu nichts.
Der Diskurs über Schulbücher ist jedoch vor allem auch ein politischer. Da sollte man nicht naiv vor ökonomischen Momenten resignieren. Die Macht liegt in diesem Fall eindeutig beim Bundesministerium. Es kann und sollte stärker im Sinn des zu erfüllenden Lehrplans entscheiden und intervenieren, um zu klären, welchen Umgang wirtschaftlich agierende Verlage mit Lehrplänen zu pflegen haben.[4] Die Wissenschaft kann diesen Diskurs nur kritisch begleiten und auf einen fruchtbaren Austausch hoffen.
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Literaturhinweise
- Bramann, Christoph, Christoph Kühberger und Roland Bernhard (Hrsg.). Historisch Denken lernen mit Schulbüchern. Frankfurt/Main: Wochenschau Verlag, 2018.
- Bernhard, Roland. “Are historical thinking skills important to history teachers? Some findings from a qualitative interview study in Austria.” International Journal of Historical Learning, Teaching and Research 14, Nr. 2 (2017): 29-39.
Webressourcen
- CAOHT-Projekt (Kompetenz- und Wissenschaftsorientierung in Geschichtsschulbüchern): https://www.uni-salzburg.at/index.php?id=208544 (letzter Zugriff am 25.6.2018).
- Georg-Eckert-Institut/Leibniz-Institut für internationale Schulbuchforschung: http://www.gei.de/en/home.html (letzter Zugriff am 25.6.2018).
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[1] Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, ausgegeben am 18.5.2016, Teil 2, 113. Verordnung: Österreichischer Lehrplan für das Fach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung in Neuen Mittelschulen und allgemeinen höheren Schulen (Wien 2016), https://www.politik-lernen.at/dl/mponJKJKoOoOkJqx4lJK/AHS_Unterstufe.pdf (letzter Zugriff am 25.6.2018).
[2] Roland Bernhard, Christoph Bramann und Christoph Kühberger, “Verwendung des Geschichtsschulbuches durch Schüler/innen und Lehrer/innen. Empirische Hauptergebnisse des Mixed-Method-Projektes CAOHT” (erscheint 2019). Allgemein zum CAOHT-Projekt siehe: https://www.uni-salzburg.at/index.php?id=208544 (letzter Zugriff am 25.6.2018).
[3] Berichte von Schulbuchautor*innen bestätigten diese Einschätzung aus einer ganz anderen Perspektive auf der Tagung “Historisch denken lernen mit Schulbüchern”: Christoph Bramann, “Tagungsbericht: Historisch denken lernen mit Schulbüchern, 23.09.2016 – 24.09.2016 Salzburg,” H-Soz-Kult, 8.12.2016,
https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6868 (letzter Zugriff am 25.6.2018).
[4] Reinhard Krammer und Christoph Kühberger, Fachspezifische Kompetenzorientierung in Schulbüchern. Hilfestellungen für Autorinnen und Autoren, Schulbuchverlage und Gutachterkommissionen. Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung (Salzburg/Wien 2011). Online verfügbar unter: https://www.geschichtsdidaktik.com/projekte/abgeschlossene-projekte/schulbuchleitfaden/ (letzter Zugriff am 25.6.2018).
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Abbildungsnachweis
Geschichtsschulbücher © Christoph Kühberger, 2018.
Empfohlene Zitierweise
Kühberger, Christoph: Geschichtslehrbücher – für wen und warum? In: Public History Weekly 6 (2018) 25, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2018-12361.
Whenever a new history textbook appears on the market, it makes you satisfied because it raises hopes that a modern, curriculum-appropriate implementation of historical learning is being offered. That is what happened to me recently at a conference in Austria. A very familiar textbook series presented itself in a new guise. The same team, a different cover and a new table of contents, which at first glance seemed to be in line with the new Austrian curriculum for lower secondary education,[1] seemed to promise much.
Funny Stories, no Competence
However, as soon as you flick through the book, the optimism will turn into disappointment as you come across old concepts. In many areas, it appears that the authors either lack or do not wish to present a differentiated understanding of “history” and “past.” Is the difference between history and past considered too demanding for secondary education? The competences required by the curriculum (for example, “working out the difference between history and past” or “distinguishing sources and interpretations according to their characteristics”) are either marginally presented in the textbook or not used at all. It is apparent that the new focus of the 2016 curriculum is regarded as being rather irritating. Its goals are hidden and marginalized rather than being picked up on and put into focus. Without going into further detail, you essentially remain at a loss as a history educator. Is this therefore the kind of reaction to a much more detailed history curriculum which highlights domain-specific competences more clearly than in previous versions?
For the first time, the new curriculum for the Austrian subject “History and Social Studies / Civic Education” provides a differentiated conglomeration of domain-specific competences and concepts as well as topics which have to be implemented in all history textbooks in accordance with the wishes of the Ministry of Education. If historical thinking is demanded in the paradigm of a narrativist theory of history, it is necessary to work on it persistently and not to betray the concept with the very first “funny task” in the textbook (for example, “Write down a hunting story set during the Stone Age.”), as this results in confusion between ficta and facta.
School Textbooks are Big Business
Perhaps history education focuses too much on the medium as a teaching and learning tool. After all, a history textbook is also an economic product that wants to be purchased. The textbook market in Austria is certainly financially interesting. Some textbook publishers release up to three history textbook series on the market. In the school year 2017/18, the history teachers could choose from a range of 17 different history textbook series for lower secondary schools. With regards to the results released by some publishers, it must however be considered if more money should be invested in didactic improvements. With a few exceptions, the didactic structure of history textbooks in Austria is rather unassuming. The sales figures are likely to be rather low for certain series, with some failing to sell at all, as surveys in the context of the CAOHT research project have shown: Few textbooks – and according to didactic criteria not even necessarily the best ones – dominate the market.[2]
It is obvious that developing a textbook always costs money, whether this concerns a new development or altering an old concept. However, it is the publisher and not the state – and definitely not the students – who must carry the risk. For example, applying pressure on the Federal Ministry of Education with economic arguments, as I have already experienced in meetings between the Ministry and the publishers, has to be considered very problematic. Even the argument that there would be no history textbooks available at the beginning of the academic year is of little concern with respect to a saturated market. What Austria requires is no longer the same old concepts, but textbooks that implement the curriculum and consistently take into account the state of knowledge of domain-specific and didactic research.
Resign Naively?
However, what about the quality of the history textbooks and the question of who guarantees it? In Austria, this task is entrusted to commissions comprised of history teachers. Despite their consultation, knowledgeable history teachers may fail to notice many aspects of a “good textbook”. Which textbooks and for which reasons the textbooks will find their way to schools is not particularly clear. One may gather the impression that individual and changing preferences influence the decisions of the commission.[3] Rejections of textbooks submitted for examination are almost non-existent.
Above all, the discourse on textbooks is also a political one. One should not resign naively to economic arguments. The influence in this case clearly lies with the Federal Ministry of Education. The Ministry can and should take a more decisive stand in terms of fulfilling the curriculum. Furthermore, it should intervene in order to clarify how the publishing landscape should handle the curricula.[4] Academia can only critically accompany this discourse and hope for a beneficial exchange.
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Further Reading
- Bramann, Christoph, Christoph Kühberger, and Roland Bernhard (eds.). Historisch Denken lernen mit Schulbüchern. Frankfurt/Main: Wochenschau Verlag, 2018.
- Bernhard, Roland. “Are historical thinking skills important to history teachers? Some findings from a qualitative interview study in Austria.” International Journal of Historical Learning, Teaching and Research 14, no. 2 (2017): 29-39.
Web Resources
- CAOHT Project (Competence and Academic Orientation in History Textbooks): https://www.hsozkult.de/project/id/projekte-533 (last accessed on 25 June 2018).
- Georg Eckert Institute for International Textbook Research: http://www.gei.de/en/home.html (last accessed on 25 June 2018).
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[1] Austrian curriculum for grades 5 to 8: Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, ausgg. am 18.5.2016, Teil 2, 113. Verordnung: Österreichischer Lehrplan für das Fach Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung in Neuen Mittelschulen und allgemeinen höheren Schulen (Vienna 2016), https://www.politik-lernen.at/dl/mponJKJKoOoOkJqx4lJK/AHS_Unterstufe.pdf (last accessed on 25 June 2018).
[2] Roland Bernhard, Christoph Bramann, and Christoph Kühberger, “Verwendung des Geschichtsschulbuches durch Schüler/innen und Lehrer/innen. Empirische Hauptergebnisse des Mixed-Method-Projektes CAOHT” (publication in 2019). To learn about the CAOHT project, see: https://www.uni-salzburg.at/index.php?id=208544 (last accessed on 25 June 2018).
[3] Textbook authors confirmed this assessment from a very different perspective during the conference “Learning to Think Historically with Textbooks”: Christoph Bramann, “Tagungsbericht: Historisch denken lernen mit Schulbüchern, 23.09.2016 – 24.09.2016 Salzburg,” H-Soz-Kult, 8.12.2016,
https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-6868 (last accessed on 25 June 2018).
[4] Reinhard Krammer and Christoph Kühberger, Fachspezifische Kompetenzorientierung in Schulbüchern. Hilfestellungen für Autorinnen und Autoren, Schulbuchverlage und Gutachterkommissionen. Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung (Salzburg/Vienna 2011). Available online: https://www.geschichtsdidaktik.com/projekte/abgeschlossene-projekte/schulbuchleitfaden/ (last accessed on 25 June 2018).
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Image Credits
History Textbooks © Christoph Kühberger, 2018.
Translation
Translated by Stefanie Svacina and Paul Jones (paul.stefanie [at] outlook.at)
Recommended Citation
Kühberger, Christoph: History Textbooks – what and whom are they for? In: Public History Weekly 6 (2018) 25, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2018-12361.
Copyright (c) 2018 by De Gruyter Oldenbourg and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact the editor-in-chief (see here). All articles are reliably referenced via a DOI, which includes all comments that are considered an integral part of the publication.
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Categories: 6 (2018) 26
DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2018-12361
Tags: Austria (Österreich), Curriculum (Lehrplan), Textbook (Schulbuch)
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Der Klage über die fachdidaktische „Flachheit“ der populärsten österreichischen Geschichtsschulbücher auch in der aktuellen Generation wird jede/jeder zustimmen, der/die sich hierzulande in jüngerer Zeit analytisch mit den gegenwärtig approbierten Büchern beschäftigt und darob büschelweise ausgeraufte Haare in Händen hält. Der Ruf nach einem strengeren Zugriff von Politik, Verwaltung und Prüfinstanzen ist daher ausgesprochen angebracht, ob er sich nun z.B. als konsequentere Einforderung und Überprüfung von Gütekriterien bzw. curricularen Bezügen, als regulierende Eingriffe in das breite Angebot oder als verpflichtende Beiziehung von im akademischen Diskurs agierenden FachdidaktikerInnen bereits im Gestehungsprozess der Bücher manifestierte. Top-down lassen sich hier erhebliche Verbesserungen am Material erzielen.
Ergänzend zum ökonomischen Aspekt sei angemerkt: Vom anderen Ende her betrachtet reagieren Schulbücher in ihrer Ausgestaltung und in ihrem Anspruch freilich nicht nur auf Lehrpläne, sondern auch auf die erlebte Nachfrage. LehrerInnen, welche in der Ausbildung den Sinn und die Vermittelbarkeit Historischen Denkens erfasst haben, bitten in Fortbildungsveranstaltungen um Empfehlungen für Schulbücher mit einer intelligenten Konzeption, die den Konstruktionscharakter von Geschichte erfahrbar macht und die Erlangung eines reflektierten Geschichtsbewusstseins nachvollziehbar unterstützt. Bleibt eine solche Nachfrage (offenbar in der Breite) aus, können dafür verschiedene Gründe angeführt werden, nicht zuletzt strukturelle und lehrerdemographische. Allerdings steht auch der Verdacht im Raum, dass die Geschichtsdidaktik in der LehrerInnenbildung weiterhin zu wenig anschauliche und überzeugende Pragmatik für ihre normativen Würfe bietet, die die AnwenderInnen anspricht. So würde etwa die Akzeptanz der im neuen Curriculum präskribierten Konzepte erleichtert, wenn bereits ein Fundus an erprobten und variantenreichen Anwendungsbeispielen zur Ansicht bereitstünde.
Insofern lässt sich der Befund auch für eine gewisse Selbstkritik nutzen. Es macht nachdenklich, wenn hierzulande gerade jene Schulbücher den Markt dominieren, die den Ansprüchen an reflektiertes Historisches Lernen kaum Genüge tun. Es sollte aufrütteln, wenn trotz einer Dekade curricular verankerter Kompetenzorientierung in der Sekundarstufe I LehrerInnen offenbar weiterhin bevorzugt zu jenen Schulbüchern mit „lustigen Geschichten statt Kompetenzen“ greifen, deren Aufgabenarchitektur bzw. Darstellungsweise FachdidaktikerInnen Bauchgrimmen verursachen und Mündigkeit im Umgang mit Geschichte in weite Ferne rücken. Setzen die AnwenderInnen auf das Altbewährte, weil das Neue noch nicht hinreichend überzeugt? Sind sie vom Tempo des akademischen Diskurses und der schulischen Reformen überfordert und benötigen mehr Evolution statt Revolution? So weit die Misere auch als ein Vermittlungsproblem der LehrerInnenbildung verstanden wird, sollte ihr auch flankierend mit einer stärkeren Forcierung der (theoriegeleiteten) Pragmatik begegnet werden.
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Dem von Christoph Kühberger aufgestellten Befund über die Qualität österreichischer Schulbücher muss hier zugestimmt werden. Fachdidaktiksch elaborierte Darstellungen und Aufgabenformate, mit denen potenziell historisches Denken angebahnt werden könnte, sind selten. Dieser Befund wiegt noch stärker, als im Rahmen des CAOHT-Projektes aufbauend auf 50 teilnehmende Beobachtungen von Geschichtsunterricht, 50 Interviews mit Lehrpersonen und einer Fragebogenstudie mit über 1000 Schüler/innen und über 250 Lehrer/innen empirisch gezeigt werden konnte, dass im österreichischen Geschichtsunterricht das Geschichtsschulbuch äußert intensiv verwendet wird und das ungebrochene Leitmedium darstellt (Bernhard/Kühberger 2019). Schulbuchinhalte kommen direkt im Geschichtsunterricht an (Bernhard 2018) und wenn es uns ein Anliegen ist, kritisches historisches Denken in den Unterricht zu bringen, ist das Schulbuch ein zentrales Medium dafür. In den Forschungen im Rahmen des CAOHT-Projekts zeigte sich auch, dass Lehrpersonen in Österreich ihr Kompetenzverständnis unter anderem über das Schulbuch entwickeln – diese sind ja nun alle mit den Prädikat “kompetenzorientiert” versehen (Bernhard/Kühberger 2019a). Aus diesem Grund hat das Schulbuch auch einen die Lehrpersonen bildenden Charakter und Schulbuchautor/inn/en sollten daher noch stärker in die Pflicht genommen werden, domänenspezfisches Denken zu fördern.
Parallel zur Debatte um Kompetenzorientierung muss aber auch eine Debatte um die fachwissenschaftliche Qualität von österreichischen (und auch deutschen) Schulbüchern geführt werden, wie dies am Georg Eckert Institut für Internationale Schulbuchforschung in Braunschweig in den letzten Jahren fokussierter gemacht wurde. Viele Lehrwerke sind voller horrender, von der historischen Fachwissenschaft seit Jahrzehnten dekonstruierter Geschichtsmythen, wie in zahlreichen Publikationen in den letzten Jahren gezeigt werden konnte (ein Buch des Georg Eckert Instituts ist open source herunterzuladen unter https://repository.gei.de/bitstream/handle/11428/261/SR142_Mythen.pdf). Als prominentestes Beispiel sei hier der Mythos der flachen Erde angeführt – die Vorstellung, dass Menschen im Mittelalter an eine flache Erde glaubten, welche die Mehrzahl österreichischer und deutscher Schulbüchern dominiert (Bernhard 2014) und die sich übrigens erstaunlicherweise erst im 20. Jahrhundert in diesen durchsetze (Bernhard 2013). In den von uns durchgeführten Interviews mit Lehrpersonen zeigte sich, dass dieser Mythos in der Lehrerschaft massiv verbreitet ist und bisweilen hört man sogar von universitären Geschichtsdidaktiker/innen, die sich an dessen Verbreitung beteiligen.
Der Mythos der flachen Erde soll hier nur exemplarisch für viele andere Mythen in Schulbüchern herangezogen werden. Historische Kompetenzorientierung – historisches Denken – bedeutet aber auch, die Konstruktionslogik eines Schulbuches offen zu legen und damit sichtbar machen, auf welcher Quellenbasis die Narrationen beruhen, sie bedeutet Schüler/innen anhand von Aufgaben selbst entscheiden zu lassen, welche von mehreren Perspektiven auf die Vergangenheit sie am ehesten zustimmen würden und prinzipiell die Glaubwürdigkeit einer spezifischen historischen Darstellung beurteilen lernen zu lassen. Da liegt nun die Crux: Es stellt sich nämlich die bange Frage, wie Schulbücher die Schüler/innen dabei unterstützen sollen im Sinne eines „criterialist epistemic stance“ (Maggioni et al 2009), die Glaubwürdigkeit von Darstellungen zu beurteilen, wenn es ihnen selbst an empirischer Triftigkeit mangelt? Christoph Kühberger fordert in seinem Artikel, Geld für eine kompetenzorientierte Weiterentwicklung von Schulbüchern in die Hand zu nehmen. Das ist wichtig! Allerdings wird eine echte Weiterentwicklung von Schulbüchern im Sinne der Kompetenzorientierung kaum fruchten, solange nicht parallel dazu eine fachwissenschaftliche Weiterentwicklung der Schulbuchnarrationen durchgeführt wird. In einer solchen geht es nicht darum zu überprüfen ob „die wahre Geschichte“ in Schulbüchern vorhanden ist – Geschichte besteht ja aus vielen verschiedenen legitimen Perspektiven. Es muss vielmehr – insbesonder in Kapiteln zur Geschichte der Neuzeit – überprüft werden, ob sich die Schulbuchdarstellungen noch innerhalb der empirischen Triftigkeit bzw. der sachlichen Richtigkeit befinden oder eben nicht. Ein gewisses Maß an empirischer Triftigkeit ist eine conditio sine qua non der Kompetenzorientierung.
Literatur
– Bernhard, Roland: Der Eingang des „Mythos der flachen Erde“ in deutsche und österreichische Geschichtsschulbücher im 20. Jahrhundert. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 64/2013, 687-701.
– ders.: Dekonstruktion des Mythos’ der flachen Erde – Information, Quellen und Materialien zur Entschlüsselung der Erzählung über die „Flache Erde des Mittelalters“ in Schulbüchern. In: Historische Sozialkunde 2/2014, 42-51.
– ders./ Grindel, Susanne/ Hinz, Felix/ Kühberger, Christoph: Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern – von Marathon bis zum Élysée-Vertrag. Göttingen 2017.
– ders./ Kühberger, Christoph. „’Digital history teaching’? Qualitativ empirische Ergebnisse aus 50 teilnehmenden Beobachtungen zur Verwendung von Medien im Geschichtsunterricht“, in: Thomas Sandkühler et al (Hg.), „Geschichtsunterricht im 21. Jahrhundert. Eine geschichtsdidaktische Standortbestimmung“. Göttingen 2019 (im Druck).
– ders./ Kühberger, Christoph: Domänen(un)spezifisch – Empirische Befunde zum Kompetenzverständnis von Geschichtslehrpersonen. In: Monika Waldis/Béatrice Ziegler (Hrsg.): Forschungswerkstatt Geschichtsdidaktik 17. Beiträge zur Tagung „geschichtsdidaktik empirisch 17“ Bern 2019a (im Druck).
– Maggioni, Liliana/ VanSledright, Bruce/ Alexander, Patricia (2009). Walking on the borders: A measure of epistemic cognition in history. The Journal of Experimental Education, 77(3), 187-214.
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Christoph Kühbergers Einschätzung zur Schulbuchlage in Österreich ist vollinhaltlich zuzustimmen. Viele Schulbuchreihen haben trotz langer Vorlaufzeiten, der Lehrplan 2008, muss hier auch mitgedacht werden, es nicht geschafft, geschichts- und politikdidaktisch neue Wege zu beschreiten. Besonders hervorgehoben sei die absolut ungenügende Umsetzung der politischen Module, die zentrale Ziele der Politischen Bildung im Unterricht der Sekundarstufe I verankern hätten sollen. Einige, wenige Schulbuchreihen setzen den Lehrplan im Sinne seiner Grundlagen größtenteils um, bei der Mehrheit der österreichischen Geschichtsschulbücher kann genau das Gegenteil beobachtet werden. Die österreichische Approbationskommission könnte, wie auch Kühberger anführt, ein starkes Instrument sein, um einen längst notwendigen Reformprozess des österreichischen Geschichtsunterrichts zu begleiten. Roland Bernhard hat in seinem Kommentar, die Beobachtungen die im Rahmen des CAOHT Projektes gemacht werden konnten, kurz umschrieben. Die Bedeutung des Schulbuchs als Leitmedium hat trotz zahlreicher geschichts- und politikdidaktischer Erkenntnissen der letzten Jahrzehnte nicht abgenommen. Die Absichten des vom Bildungsministerium eingesetzten Gremiums, die Schulbücher nach anerkannten Parametern nachhaltig zu verbessern dürften tatsächlich endend wollend sein.
Die von Kühberger angesprochene ökonomische Komponente führt auch dazu, dass von der Kommission abgelehnte Bücher trotzdem approbiert werden, da sonst die Verlage teilweise nicht mehr konkurrenzfähig wären. Dieses Argument darf keine Rolle spielen, denn so wie von Kühberger angeführt, liegt die Machtposition hier eindeutig auf der Seite des staatlichen Ministeriums. Die Leidtragenden dürften in erster Linie die SchülerInnen sein, denen ein moderner und vermutlich auch spannenderer Zugang zu Geschichte nach wie vor größtenteils verwehrt bleibt. Die (negative) Bedeutung eines oberflächlich gestalteten Geschichts- und Politikunterrichts in Zeiten des Vormarsches des Rechtspopulismus/-extremismus und von „alternativen Fakten“ kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Der Geschichtsunterricht könnte bei besseren Lehrmitteln einen Beitrag zu einer aufgeklärteren Gesellschaft beitragen.
Ein Aspekt, dem sich auch Heinrich Ammerer in seinem Kommentar gewidmet hat, gilt es jedoch in Zukunft deutlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken als bisher: die Qualität der LehrerInnen! Es gelingt offensichtlich an den österreichischen Universitäten und den Pädagogischen Hochschulen nicht, die Geschichts- und Politikdidaktik so zu gestalten, dass sie nachhaltig in den Unterricht wirkt. Ob dies an den Lehrenden in den Verbünden liegt, ob dies am fast durchgehend geringen Stundenausmaß in der LehrerInnenausbildung liegt (als Ausnahme kann hier der Verbund Mitte gesehen werden) oder ob es an einer falschen Struktur der LehrerInnenfortbildung liegt, kann an dieser Stelle nicht seriös beantwortet werden. Die Vermutung liegt nahe, dass die Ursachen ein Konglomerat aus allen genannten Bereichen sein dürften. Ich denke, dass dieser Umstand eine der größten Herausforderungen für die tertiäre LehrerInnenaus- und fortbildung der nahen Zukunft sein sollte. Wie erreichen wir zukünftige LehrerInnen in der Ausbildung (und natürlich auch jene, die bereits unterrichten), um ihnen die Notwendigkeit der Umsetzung der zentralen geschichts- und politikdidaktischen Prinzipien, Konzepten und Kategorien zu vermitteln? LehrerInnen sind nicht dafür ausgebildet worden, um mit SchülerInnen die master narratives der Schulbücher gemeinsam und unreflektiert zu lesen! Mit Hilfe der Schulverwaltung und der ministeriellen Kommission könnte dies gelingen, jedoch scheint hier der Wille, bis auf wenige Ausnahmen, nicht allzu hoch zu sein…