“Sinnbildung über Zeiterfahrung” – eine Leerformel?

 

Abstract: “Auch in der Geschichtsdidaktik gibt es Formeln, die immer wiederholt werden – Topoi des didaktischen Denkens. Sie finden sich in Aufsätzen akademischer Didaktiker und in Lehrplänen der Bildungsverwaltungen ebenso wie in Arbeiten von Studierenden und in Unterrichtsentwürfen.” So beginnt ein Eintrag vom Oktober 2009 auf der Website von Andreas Körber.1 Zu den angesprochenen Formeln oder Topoi zählt gewiss Jörn Rüsens Wendung von der “Sinnbildung über Zeiterfahrung”. Sie wird – über die eigene Lektüre hinaus vermittelt Google davon einen schnellen Eindruck – an allen möglichen Orten und in allen möglichen Kontexten aufgegriffen, zumeist ohne Nachweis und ohne genauere argumentative Einbettung.
DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1203.
Languages: Deutsch


“Auch in der Geschichtsdidaktik gibt es Formeln, die immer wiederholt werden – Topoi des didaktischen Denkens. Sie finden sich in Aufsätzen akademischer Didaktiker und in Lehrplänen der Bildungsverwaltungen ebenso wie in Arbeiten von Studierenden und in Unterrichtsentwürfen.” So beginnt ein Eintrag vom Oktober 2009 auf der Website von Andreas Körber.2 Zu den angesprochenen Formeln oder Topoi zählt gewiss Jörn Rüsens Wendung von der “Sinnbildung über Zeiterfahrung”. Sie wird – über die eigene Lektüre hinaus vermittelt Google davon einen schnellen Eindruck – an allen möglichen Orten und in allen möglichen Kontexten aufgegriffen, zumeist ohne Nachweis und ohne genauere argumentative Einbettung.

Was heißt “Sinnbildung über Zeiterfahrung”?

Wie wird eine Leserin (oder Leser) diese Formel wahrnehmen, die ihr zuvor noch nicht begegnet ist? Sie wird vielleicht darüber nachdenken, dass die deutsche Sprache die schöne, aber auch gefährliche Eigenart besitzt, vielfältige Zusammensetzungen von Substantiven zu erlauben. Üblicherweise bestehen diese Substantivkomposita aus einem Grund- und einem Bestimmungswort. Das Grundwort steht hinten, es legt in der Regel den Sinn des Kompositums fest und steuert den grammatischen Kontext. Grundwort von “Sinnbildung” ist “Bildung”. Es bestimmt den Bezug zum nachfolgenden “über Zeiterfahrung”: also “Bildung über Zeiterfahrung”. Nein, das kann nicht gemeint sein, so lässt sich das Kompositum nicht auflösen. Gemeint ist vielmehr “Bildung von Sinn über Zeiterfahrung”. Allerdings kann man das eigentlich nicht in der Kurzform des Kompositums ausdrücken, weil es nicht den genannten Regeln entspricht. Das irritiert unseren vorgestellten Leser (oder Leserin).

Sinn, Erfahrung, Zeit

Was wird er weiter denken? Was heißt eigentlich “über Zeiterfahrung”? Es gibt den “Sinn von”, aber gibt es “Sinn über”?3 Was soll die Präposition bedeuten? Ist vielleicht gemeint “Sinn in Bezug auf” oder “Sinn mithilfe von”? Das wäre nicht unbedingt dasselbe. “Sinn mithilfe von Zeiterfahrung” würde wohl heißen, dass es sich um die persönliche Zeiterfahrung desjenigen handeln muss, der sich dann “darüber” seinen Sinn bildet. Bei der Variante “Sinn in Bezug auf Zeiterfahrung” könnte vielleicht auch “Zeiterfahrung” anderer Menschen gemeint sein. Aber was heißt denn überhaupt “Zeiterfahrung”? Ist es ganz allgemein die Wahrnehmung von Zeitabläufen? Die Unterscheidung verschiedener Zeitebenen? Oder geht es um Erfahrungen, die irgendjemand in der Zeit, also in zeitlichen Abläufen, die in der Vergangenheit liegen, gemacht hat? Erfahrungen brauchen allerdings immer ein Subjekt, das sie macht. Also noch einmal die Frage: Wessen Erfahrung ist gemeint – die eigene oder (auch) die anderer Menschen? Und wer sind gegebenenfalls diese anderen: Zeitgenossen oder auch Menschen aus früheren Zeiten? Wie können wir überhaupt etwas über die Erfahrung anderer wissen? Sie müsste ja in irgendeiner Form überliefert sein, und mit dieser Überlieferung müsste man sich in spezifischer Weise beschäftigen.

Was es heißt, bleibt unklar

Hier hilft unserer vorgestellten Leserin (oder Leser) die Formel nicht weiter, sie muss einen Blick auf den Kontext werfen. Sie liest also beispielsweise: “Was heißt Erzählen als Fundamentaloperation des Geschichtsbewusstseins? Gemeint ist etwas sehr Elementares und Grundsätzliches: ein sinnbildender Umgang mit der Erfahrung von Zeit, der notwendig ist, um die Zeitlichkeit des eigenen Lebens deutend verarbeiten und handelnd bewältigen zu können. Erzählen ist Sinnbildung über Zeiterfahrung, es macht aus Zeit Sinn.”4 Aha, es geht also um die “Zeitlichkeit des eigenen Lebens”. Doch nein, das ist gewissermaßen nur die Anwendungsebene. Zuvor ist ganz allgemein die Rede von “der Erfahrung von Zeit”. Das hilft nicht weiter, denn es stellen sich erneut die eben schon aufgeworfenen Fragen nach der Art dieser Erfahrung, nach ihrem Subjekt und den Quellen unserer Kenntnis über sie. Welche Tätigkeit nun eigentlich hinter der Formulierung “sinnbildender Umgang mit der Erfahrung von Zeit” steckt, bleibt unklar.

Nur eine formelhafte Chiffre?

Es gibt also eine ganze Menge Fragen, die sich aus der Formel von der Sinnbildung ergeben können. Ob alle, die sie verwenden, diese für sich bedacht und beantwortet haben? Wohl eher nicht. Die Formel fungiert gewissermaßen als Chiffre dafür, dass man im didaktischen Diskurs steht und eine irgendwie moderne, kulturwissenschaftlich und erzähltheoretisch fundierte Auffassung von Geschichtsbewusstsein hat. Eigentlich weiß doch ohnehin jeder, was gemeint ist – Nachfragen und Erläuterungen erübrigen sich. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es steht außer Zweifel, dass Rüsen unser geschichtsdidaktisches Denken auf vielfältige Weise befruchtet hat. Aber muss es immerzu diese Formel sein? Ist sie nicht, isoliert verwendet, wahlweise banal oder unverständlich, eigentlich eine Leerformel? Freilich: Vielleicht macht gerade diese gewisse Unbestimmtheit und Dunkelheit den Charme und die Beliebtheit – sozusagen die “Formelfähigkeit” – einer solchen “narrativen Abbreviatur” (Rüsen)5 aus.

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Literaturhinweise

  • Rüsen, Jörn: Historische Orientierung. Über die Art des Geschichtsbewusstseins, sich in der Zeit zurechtzufinden, Köln 1994.
  • ders.: Historische Vernunft. Grundzüge einer Historik I: Die Grundlagen der Geschichtswissenschaft, Göttingen 1983.
  • Pandel, Hans-Jürgen: Geschichtsbewusstsein. In: Ulrich Mayer u.a. (Hrsg.): Wörterbuch Geschichtsdidaktik, Schwalbach/Ts., 1. Aufl. 2006, 2. Aufl. 2009, S. 69f.

Webressourcen

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Abbildungsnachweis

© Karin Jung: Wie schnell doch die Zeit vergeht / Pixelio.de

Empfohlene Zitierweise

Sauer, Michael: “Sinnbildung über Zeiterfahrung”. In: Public History Weekly 2 (2014) 4, DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1203.

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  1. Koerber, Andreas: Zur Uneindeutigkeit geschichtsdidaktischer Topoi. In: Historisch Denken Lernen, 9.10.2009. Verfügbar unter der URL http://historischdenkenlernen.userblogs.uni-hamburg.de/2009/10/09/zur-uneindeutigkeit-geschichtsdidaktischer-topoi/ (4.12.2016).
  2. Koerber, Andreas: Zur Uneindeutigkeit geschichtsdidaktischer Topoi. In: Historisch Denken Lernen, 9.10.2009. Verfügbar unter der URL http://historischdenkenlernen.userblogs.uni-hamburg.de/2009/10/09/zur-uneindeutigkeit-geschichtsdidaktischer-topoi/ (4.12.2016).
  3. Dazu eine kritische Anmerkung lediglich bei Barricelli, Michele: Vielfältiges Erinnern und kreatives Vergessen. Geschichte, Geschichtsbewusstsein und historisches Lernen in gebrochenen Zeiten. In: Barricelli, Michele / Becker, Axel / Heuer, Christian (Hrsg.): Jede Gegenwart hat ihre Gründe. Geschichtsbewusstsein, historische Lebenswelt und Zukunftserwartung im frühen 21. Jahrhundert. Schwalbach/Ts. 2011, S. 21, Anm. 17.
  4. Rüsen, Jörn: Historische Orientierung. Über die Art des Geschichtsbewusstseins, sich in der Zeit zurechtzufinden. Köln 1994, S. 38, vgl. auch ebd. S. 8, 83, 128. Am ausführlichsten Rüsen, Jörn: Historische Vernunft. Grundzüge einer Historik I: Die Grundlagen der Geschichtswissenschaft. Göttingen 1983, S. 51–57. Diverse Stellen auch in Rüsen, Jörn: Lebendige Geschichte. Grundzüge einer Historik III: Formen und Funktion des historischen Wissens. Göttingen 1989, S. 18, 24, 130, 132. Dazu gibt es vielerorts ähnliche Wendungen.
  5. Rüsen nutzt den Begriff der narrativen Abbreviatur an verschiedenen Orten, erstmals in Rüsen, Jörn u. a.: Untersuchungen zum Geschichtsbewusstsein von Abiturienten im Ruhrgebiet. In: Borries, Bodo v. / Rüsen, Jörn / Pandel, Hans-Jürgen (Hrsg.): Geschichtsbewusstsein empirisch. Pfaffenweiler 1991, S. 221–344, hier S. 231

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DOI: dx.doi.org/10.1515/phw-2014-1203

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7 replies »

  1. Wortklauberei.
    Michael Sauer gefällt die Formulierung nicht. Sein gutes Recht. Er hat sich nicht die Mühe gemacht, zu verstehen, was gemeint ist. Dazu hätte er wohl mehr lesen müssen als das, was er als Kontext zitiert. Oder meint er, es gebe hier gar nichts zu verstehen, es handle sich um puren Unsinn. Das wäre bitter für mich, aber doch wohl auch befremdlich für ihn. Schließlich stammt die Formel aus einem ausgiebig dargelegten geschichtstheoretischen Argumentationszusammenhang. Ich hätte mich gefreut, wenn er sich kritisch darauf bezogen hätte. Statt an Worten solange herumzudrehen, bis sie oder die Leser den Verstehensverstand verlieren, wäre mir eine sachliche Kritik lieber gewesen. Aber, wie sagt doch Mephistopheles so schön: “Mit Worten lässt sich trefflich streiten…”
    Übrigens ist die Formel alles andere als eine ‘narrative Abbreviatur’, mit letzterer ist ein Wort gemeint, das für eine ganze Geschichte steht. Die ‘Sinnbildung’ steht für eine ganze Argumentation und für keine Geschichte. Genauigkeit bei der Lektüre und der Verwendung von Begriffen sind ebenso empfehlenswert wie eine Hermeneutik, die den Autor verstehen will.
    Warum also die Polemik? Ich denke mir, dass sie eine Theorie- und Reflexionsphobie bedient, die nicht nur im Fach Geschichte verbreitet ist. Das wäre fatal. Aber vielleicht habe ich jetzt meinen Kritiker nicht verstanden.

  2. „Sinnbildung über Zeiterfahrung“ – Lehrformel statt Leerformel

    Michael Sauer und viele andere haben recht: Das Rüsen’sche Diktum „Sinnbildung über Zeiterfahrung“ ist die zentrale Formel unseres Faches. Vielleicht ist sie sogar unser E=mc2. Aber ist sie eine Leerformel? Zumindest haben wir keine andere – fiele sie weg, bliebe nur wenig übrig: statt einer Leerformel vermutlich völlige Leere.

    Mit vorbildlicher Akribie, durch die mich der promovierte Germanist die Defizite meines schulischen Grammatikunterrichts spüren lässt, seziert Michael Sauer jenes anspruchsvolle Sprachgeschöpf aus Substantivkompositum (das in unserem Fall aus einem Haupt- und einem Bestimmungswort besteht) und einer Präpositionalergänzung. Das ist gelehrig und klug – und zeigt zugleich, dass Sprache uneindeutig sein kann. Die Formel lässt Raum für Interpretationen, wabert, ist uneindeutig. Keine schlechte Voraussetzung eigentlich für Begriffsarbeit in einem kulturwissenschaftlichen Fach.

    Was der Germanist beim Sezieren übersieht, bemerkt der (Fast) -Mathematiker: Eine Formel ist eine Gleichung, sie steht – das weiß Wikipedia – „für eine Gesetzmäßigkeit, Regel, Vorschrift oder Definition“ , und sie besteht aus zwei Seiten, die eine steht links, die andere rechts vom Gleichheitszeichen, und die rechte Seite definiert die linke. Unsere Formel, das verrät ein Blick in die Texte von Jörn Rüsen, definiert „die Erinnerungsarbeit des Geschichtsbewusstseins“ , also wohl den Kern dessen, was wir schlechthin als „historisches Lernen“ bezeichnen. Auch nach Jahren engagiert geführter Kompetenzdebatten ist in den Laboren unseres Fachs noch keine bessere Formel entwickelt worden. Wir brauchen diese Formel also auch, weil es keine bessere gibt. Sie ist – ein vielleicht allzu inflationäres Argument – alternativlos. Dieses Argument freilich ist billig – und wirft zugleich ein recht mattes Licht auf die Kreativität von Begriffsarbeit in unserem Fach insgesamt.

    Wir brauchen diese Formel auch, um Geschichtsdidaktik im akademischen Alltag lehr- und lernbar zu machen. Die vermeintliche Leerformel ist eine bewährte Lehrformel. (Vielleicht allzu) holzschnittartig verkürzt könnte man ja sagen: „Historisches Lernen = Erinnerungsarbeit des Geschichtsbewusstseins = Sinnbildung über Zeiterfahrung im Modus historischen Erzählens“. Und in der Tat gleichen Bachelor-Erstsemester, die sich zum allerersten Mal mit der Rüsen’schen Nomenklatur auseinanderzusetzen haben, jenen Erstleserinnen und Erstlesern, die auch Michael Sauer vor Augen stehen. Masterstudierende im vierten Semester hingegen gehören dann meistens bereits zum Kreis der Eingeweihten und hoffnungsvoll Ahnenden – denn sie haben in der Zwischenzeit gelernt, dass historisches Lernen eine Erzählveranstaltung ist, vielleicht auch, dass Geschichtsunterricht fast der einzige Ort von Schule sein kann, an dem über das seltsame Phänomen der Zeit nachgedacht wird, außer vielleicht in einem hervorragenden Physikunterricht. Und sie wissen, dass es beim Geschichten-Erzählen um Erfahrung, Deutung und Orientierung geht, und dass Erfahren durch die Aneignung von Diskursen in der Lebenspraxis stattfindet. Die Formel hat sich also als Lehrformel bewährt. Dieses Argument freilich ist konservativ, durchdrungen von traditionaler Sinnbildung. Aber in unserer ökonomisch durchgetakteten Gegenwart zu wissen, dass es Erzählen ist, das aus Zeit Sinn macht, das ist doch eigentlich etwas ganz wunderbares – wundersam ist es allemal.

    Wir brauchen die Formel aber auch, um neu über historisches Lernen nachdenken zu können. Neues entsteht durch Reibung an Bewährten, gerade dann, wenn das Bewährte nicht mehr vollends befriedigen kann. Vielleicht gerät unser domänenspezifisches E=mc2 gerade durch die Herausforderungen von Inklusion unter Druck. Nehmen wir Inklusion ernst, dann müssen wir fragen: Was bedeutet Sinnbildung in inklusiven Zeiten? Steckt hinter eben jenem „Sinn“, der gebildet werden soll, das Sinnkonzept des 19. Jahrhunderts, das den „Sinn“ streng von Schwachsinn und Wahnsinn trennte – also von jenen mentalen Fähigkeiten, die wir heute als „geistige Behinderung“ bezeichnen? Dann könnte „Sinn“ eben nicht mehr als begriffliche Klammer unseres Faches fungieren. Und welches Konzept von Bildung steckt hinter der Sinnbildung? Etwa jenes Bildungsideal, das uns seit Jahrzehnten ein exkludierendes viergliedriges Schulsystem beschert? Wer kann in einem inklusiven Geschichtsunterricht überhaupt Zeiterfahrungen machen: alle, die meisten oder mal wieder nur einige wenige? Und wer beherrscht die Fähigkeit, historisch zu erzählen? Sollte man statt – oder in Ergänzung von – historischem Erzählen der Fähigkeit der historischen Imagination einen zentraleren Platz in unserer Formel vom historischen Lernen zuweisen? Wo bleiben der Eigen-Sinn der Lernenden (etwa nach Alf Lüdtke) und welche Rolle spielen performative Praktiken der Aneignung von Geschichte jenseits von Erzählen?

    In der Mathematik kritisiert man alte Formeln, indem man einfach neue vorschlägt. Wir wäre es dann mit dieser: Historisches Lernen ist die produktive eigen-sinnige Aneignung vergangener Wirklichkeiten als selbst erzählte und selbst imaginierte Geschichte.

  3. Differenzierung statt Verwerfung eines theoretisch wohl fundierten Topos

    Das theoretische Vokabular der Geschichtsdidaktik steht auf dem Prüfstand. Neben dem Begriff des „Geschichtsbewusstseins“ erfährt nun auch derjenige von der „Sinnbildung über Zeiterfahrung“ aus den epistemologischen Schriften Jörn Rüsens im Beitrag von Michael Sauer eine kritische Würdigung. Die Ausführungen Sauers lassen sich als Indikator dafür werten, dass die spezifische Bedeutung der didaktischen Topoi für die je verschiedenen Erfordernisse historischen Lernens in deren unterschiedslosen Verwendung untergeht. Ein davon besonders betroffener Ort historischen Lernens ist der Geschichtsunterricht, weil das in Frage gestellte theoretische Vokabular in die reformierten Lehrpläne Einzug gehalten hat.
    „Deutung von Zeiterfahrungen“ als Produkt historischen Denkens im Geschichtsunterricht
    Eine Begründung für die Ausdifferenzierung des Rüsen´schen Topos statt seiner grundsätzlichen Verwerfung liegt in dessen Verankerung in der Historik. Die damit verbundene Qualität des Topos liegt in der dezidierten Zu- und Unterordnung des Prozesses der Sinnbildung in die Logik geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis einerseits und der Integration der Didaktik innerhalb des Konzepts „Historik“ andererseits, womit sich der Bezug zur Fachwissenschaft als notwendiger wenn auch nicht hinreichender Gegenstand schulischen Lernens in Geschichte argumentieren lässt. Vor diesem Hintergrund schlage ich für die Konvention schulischen Lernens vor, den Begriff der „Sinnbildung“ durch den von Rüsen analog verwandten Begriff der „Deutung“ (Historik 2013: S. 32) zu ersetzen und den Vorgang der Deutung auf die individuelle Fähigkeit zur „Deutung von Zeiterfahrungen“ zu beziehen.
    Das Problem des Topos in seiner ursprünglichen Form ist der Begriff des Sinns und seine durch Rüsen argumentierte Verbindung zur Wahrheit. Beide Begriffe sind theologisch und geschichtsphilosophisch konnotiert und geraten daher unter Ideologieverdacht. Demgegenüber beinhaltet der Begriff der individuellen Deutung den Konstruktcharakter und die Vorläufigkeit historischen Erzählens. Dasselbe Problem des Ideologieverdachts läßt sich mit der Annahme eines umfassenden Geltungsanspruchs begründen, wenn „ Sinn über Zeiterfahrung“ gebildet werden soll. Für den Anspruch multiperspektivischen historischen Lernens lässt sich dies durch die Umformulierung zu „Deutung von Zeiterfahrungen“ vermeiden. Damit ist verdeutlicht, dass es eine Gesamtheit der Zeiterfahrung im Singular nicht gibt und sich daher ein Sinn über die Gesamtheit von Zeiterfahrung nicht bilden läßt. Die im Rahmen der Historik verankerte didaktische Konsequenz besteht in der Erfordernis historischen Lernens, Schülern die Erkenntnis zu ermöglichen, dass die Gegenstände und Deutungen historischer Erzählungen – und zwar auch von Geschichtsunterricht – einem standortbezogenen Auswahlprozess geschuldet sind. Diese Erkenntnis und die daraus für das Denken des Individuums zu ziehenden Konsequenzen führen zur Präzisierung des Beitrages des Faches Geschichte zur Erziehung historisch mündiger Bürger. Der Begriff der Zeiterfahrung ist aber nicht dispensabel, weil er die spezifische Methodik empirischer Erkenntnisgewinnung von Geschichtswissenschaft beschreibt.
    Die entsprechende kognitive Aktivität, die es dem Lernenden zu ermöglichen gelte, ließe sich mit Rüsen als „diskursive Kommunikation“ (Historik 2013: S. 57) beschreiben. Diese ist erkennbar als historische, insofern sich die darin verhandelten Geltungsansprüche auf standortgebundene Erfahrungen der Vergangenheit und deren Kontextualisierung im Zeitverlauf beziehen. Das stets vorläufige, fachlich aber adäquate Ergebnis „diskursiver Kommunikation“ für die historische Sprachfähigkeit des Einzelnen kommt dann als argumentative historische Narrativität zum Ausdruck.

  4. Als der im Ursprungsbeitrag eingangs zitierte und angesichts der beiden bereits vorliegenden Antworten möchte ich nur kurz Stellung nehmen:

    Auch ich kann Michael Sauer hier nicht beipflichten, finde aber auch das Bild der mathematischen Formel sowie die konkret vorgeschlagene Alternativformel nicht ganz passend (wie auch wohl jedes Bild die Sache selbst nicht vollständig erfassen kann — es müssen die Grenzen nur erfasst werden).

    Zunächst: So “gewiss” Michael Sauer ist, dass die Formulierung von der “Sinnbildung über Zeiterfahrung” zu den Formeln gehört, die ich in meinem Beitrag anspreche, so sehr irrt er dort doch. “Sinnbildung über Zeiterfahrung” ist zwar eine Formel, aber keine, von der ich glaube, dass sie überflüssig wäre, noch gar eine leere (von “Leerformel” spreche ich dort gar nicht).

    Leider ist auch die von Martin Lücke vorgeschlagene Alternativformel kein vollwertiger Ersatz (jeder Vorschlag einer Alternative ist ehrenwert, bedarf aber seinerseits der Prüfung und Diskussion):

    Historisches Lernen ist m. E. (und so, wie ich Rüsens Theorie verstehe) nämlich keineswegs nur die Aneignung irgendwelcher gegebener, als in bestimmter Form als existent vorausgesetzter vergangener Wirklichkeiten “als” (= in der Form?) selbst erzählter (über die Imagination wäre noch einmal getrennt nachzudenken) Geschichte, sondern

    1. die in einem — gerade nicht in dieser Vergangenheit selbst liegenden und in ihr aufgehenden — zeitlichen Sinn mündende Form der Beschäftigung mit der Vergangenheit aus einer spezifischen zeitlichen, sozialen und kulturellen Position (“Perspektive”) hinaus. Das reicht deutlich über “Aneignung” hinaus, wie wohl sprachlich zugestanden werden muss, dass “diese Vergangenheit” (besser: die Form, in welcher sie verarbeitet ist), dann ein Teil des Eigenen Selbst- und Fremdbildes wird. Das ist das, was ich eher “historisches Denken” nenne (gewissermaßen die “horizontale” Dimension des historischen Lernens); sowie

    2. die in diesem Prozess — aber auch durch explizite andere Prozesse, die nicht selbst zeitliche Orientierungen auf- und umbauen — stattfindende Förderung der Fähigkeiten, den unter 1 genannten Prozess selbstständig wie kooperativ bzw. kommunikativ und verantwortlich zu vollziehen (demnach die “vertikale” Dimension des historischen Lernens = Kompetenz-Elaboration).

    “Sinnbildung über Zeiterfahrung” ist also auch keine domänenspezifische Gesetzmäßigkeit, die verfeinert werden müsste — es ist ein formelhafter Ausdruck für die Funktion und Aufgabe des historischen Denkens. Es geht — wie Sauer richtig bemerkt — um die Bildung von Sinn über Zeiterfahrung. Aber gebildet wird nicht ein wie auch immer vorgegebener “Sinn von Zeit”, sondern angesichts von und in Auseinandersetzung mit eigenen wie fremden Erfahrungen zeitlicher (Konstanz und) Veränderungen wird ein Sinn aufgebaut. Daher “über”.

  5. Für mich ist das eine etwas irritierende Diskussion. Ich versuche, es in wenigen Punkten zusammenzufassen, und fürchte schon jetzt, dass es dadurch wohl zu scharf ausfallen wird.

    1. Jörn Rüsen reagiert auf Michael Sauer mit dem Begriff “Wortklauberei” – und argumentiert dann stark “ad hominem”, anstatt auf Sauers grammatische Überlegungen einzugehen und den Unterschied von Sauers Lesart zu seiner eigenen Begriffsverwendung wenigstens kurz auszuführen.

    2. Rüsen wittert hinter Sauers Blogpost eine im Fach Geschichte und andernorts verbreitete “Theorie- und Reflexionsphobie”. Wäre dem so, hätte sich Sauer wohl kaum auf diesen Text eingelassen. Eine solche Phobie mag es wohl geben, mit der Diskussion hier hat sie wohl nichts zu tun. Diskutanden, die dem eigenen Theorieverständnis nicht folgen, Theorieferne vorzuwerfen, ist jedenfalls kein guter Stil.

    3. Martin Lücke erklärt, “Sinnbildung über Zeiterfahrung” sei die zentrale Formel des Faches. Ist dem so? Geht man von Geschichtsbewusstsein als zentraler Kategorie der Geschichtsdidaktik aus, dann gibt es sicher auch alternative Angebote (u.a. überzeugt mich die einfache und elegante Konzeption von Karl-Ernst Jeismannn mehr – und mir scheint auch ein geschichtsdidaktischer Konsens hier nicht vorzuliegen).

    4. Lücke freut sich, dass Sauers Blogpost u.a. zeigt, dass „Sprache uneindeutig sein kann“. Die Formel lasse Raum für Interpretationen, sie wabere. Ist das wirklich ein Vorteil, wenn es nicht um eine historische Darstellung, sondern um Theoriearbeit geht? Mein Theorieverständnis fordert in diesem Bereich maximale Präzision und Klarheit, und zu zeigen, dass diese Formel hier Probleme schafft, ist Sauers Anliegen – meines Erachtens zu Recht.

    5. Ist es wirklich so, dass eine Formel gut ist, wenn Erstsemester Probleme mit ihr haben, Masterstudierende aber zu den „Eingeweihten“ oder „hoffnungsvoll Ahnenden“ gehören? Das ist gewissermaßen die Beschreibung von Esoterik im Sinne eines Sprachgebrauchs für Eingeweihte. Vielleicht haben diese Masterstudierende ja auch unterdessen einfach gelernt, bedeutungsvoll zu raunen.

    6. Was meint historisches Lernen als „Erzählveranstaltung“? Das historische Erzählen hat spätestens seit Rüsens Rezeption von Arthur C. Danto in der deutschsprachigen Geschichtsdidaktik Konjunktur. Bei Danto war die Erzählung aber immer nur die Form der historischen Erklärung, die ansonsten weiterhin den Anforderungen an eine wissenschaftliche Erklärung genügen musste; das ist in der Diskussion völlig verlorengegangen. Spannend wäre es darüber nachzudenken, wie sich unsere Perspektive auf Geschichtsunterricht verändert, wenn wir historisches Lernen als „Erklärveranstaltung“ denken, die notwendig erzählend verfährt. Die Alternativformel könnte dann z.B. lauten: Historisches Lernen ist die diskursive Auseinandersetzung um die Erklärung vergangener Wirklichkeiten. Oder ähnlich.

    7. Damit verändert sich vielleicht auch der Blick auf die Ausgangsformel. Sauer hatte die grammatische Konstruktion der „Sinnbildung über Zeiterfahrung“ kritisiert. Liest man die Formel so, dass Menschen den Wandel von etwas in der Zeit erfahren und so beginnen, historisch wahrzunehmen und zu denken, indem sie diese Erfahrungen deuten, dann ist es eigentlich nicht „Zeiterfahrung“, sondern die Erfahrung von Veränderung in der Zeit – das Objekt wäre also einfach falsch gewählt. Das ist aber nicht der entscheidende Punkt. Wichtiger wäre: Es geht eigentlich weniger um Sinnbildung im Sinne von (breit verstandener) Deutung als vielmehr um die Erklärung des wahrgenommenen Wandels.

    Sauer zitiert einen sehr aussagekräftigen Rüsenschen Passus: „Was heißt Erzählen als Fundamentaloperation des Geschichtsbewusstseins? Gemeint ist etwas sehr Elementares und Grundsätzliches: ein sinnbildender Umgang mit der Erfahrung von Zeit, der notwendig ist, um die Zeitlichkeit des eigenen Lebens deutend verarbeiten und handelnd bewältigen zu können. Erzählen ist Sinnbildung über Zeiterfahrung, es macht aus Zeit Sinn.“

    Vielleicht ist ja Erzählen mehr als eine Fundamentaloperation des Geschichtsbewusstseins, nämlich (im Sinne Dantos) die Form, die eine historische Erklärung logisch annimmt (annehmen muss). Das ist dann nicht zwingend sinnbildend (egal was man unter „Sinn“ versteht). Es hat auch nicht immer etwas mit der „Erfahrung von Zeit“ zu tun, und es geht auch nicht immer „um die Zeitlichkeit des eigenen Lebens“, die man „deutend verarbeiten und handelnd bewältigen“ können möchte. Mitunter geht es um pures Interesse, um Neugier, um Rätsel. Und eine Erzählung im Sinne Dantos macht auch nicht Sinn aus Zeit, sondern sie erklärt einen erklärungsbedürftigen Wandel von etwas im zeitlichen Verlauf. Vielleicht sollten wir also von „Erklärung historischen Wandels“ sprechen?

    Anm. der Redaktion:
    Das Weblog von Andreas Frings: Geschichte verwalten. Studienmanagement im Historischen Seminar

  6. Ein Versuch einer kurzen Antwort auf Andreas Frings:

    1. Ja, Geschichtsunterricht kann und sollte nicht mehr eine reine “Erzählveranstaltung” sein, wenn darunter verstanden werden soll, dass die Lehrperson die Lerndenden mit fertigen Überzeugungen zu Identität und Orientierung durch den performativen Akt des (transitiven) Erzählens ausstatten möge. Das war und ist aber mit der Rehabilitation (?) des Erzählens durch u.a. Jörn Rüsen und Hans-Jürgen Pandel im Anschluss an Arthur Danto etc. gar nicht gemeint (gewesen), wie – wenn ich mich recht erinnere – beide auch vor vielen Jahren schon selbst verdeutlicht haben, nicht zuletzt durch Entgegnungen auf Versuche, die narrativistische Geschichtstheorie zur Begründung einer Wiederbelebung der Lehrererzählung zu machen (etwa durch Michael Tocha).

    2. Ob es das Problem löst, den Geschichtsunterricht demgegenüber als “Erklärveranstaltung” zu qualifizieren, wie Frings vorschlägt, ist allerdings ebenso unsicher. Eine ebenso transitive Erklärung (im Sinne transitiver Erläuterung) historischer Ereignisse, Zusammenhänge etc. durch die Lehrperson den Schülerinnen und Schülern gegenüber hätte keinen wesentlich anderen Status, sondern würde demgegenüber verschweigen, dass der Modus dieses Erklärens, wenn es denn Geschichte sein soll, wesentlich (nicht: ausschließlich) narrativ sein muss. Außerdem würde eine solche Bestimmung nichts darüber aussagen, warum denn bestimmte Ereignisse im Geschichtsunterricht “erklärt” werden müssen. Es muss doch schon irgendwie mitbedacht werden, wer sich warum über das Zustandekommen dieser Ereignisse wundert, sie einer Erklärung für bedürftig hält. Sinnvolle Bestimmungen dessen sind mit der von Frings vorgeschlagenen Bestimmung nicht ausgeschlossen oder gar verhindert – aber eben auch nicht eingefordert. Wenn Geschichtsunterricht den Lernenden solche Ereignisse “erklären” soll, bei denen “die Gesellschaft” (wer auch immer das jeweils sein soll) über ihre Möglichkeit und ihre Kausalität rätselt oder streitet, dann gehört mindestens auch dazu, den Grund für diese Streitigkeit oder für das gesellschaftliche Verwundern mit offenzulegen und selbst auch zu thematisieren – eigentlich sogar: zu berücksichtigen, ob das die Lerndenden eigentlich aktuell interessiert oder aber interessieren sollte und kann.

    3. Ich möchte demgegenüber eine andere Aufgabe des Geschichtsunterrichts betonen, welche die beiden oben genannten mit einschließt: Geschichtsunterricht sollte eine “Befähigungsveranstaltung” sein – eine Veranstaltung, welche Lernenden befähigt, sich selbst vergangene Ereignisse und Lebensweisen zu erklären, und zwar indem sie narrative Erklärungsformen anwenden – und er muss die Lernenden befähigen, dies zunehmend auf eine Art und Weise zu tun, welche gesellschaftlich plural anschlussfähig, flexibel gegenüber immer neuen Fragen und Perspektiven und wissenschaftliche wie sozial verantwortbar ist: Geschichtsunterricht soll somit keine fertigen Erklärungen und/oder Narrationen (Erzählungen) liefern oder vorstellen, er soll aber auch nicht das organisatorische Gefäß sein, in dem sie gemeinsam und unter Aufsicht (und Anleitung) eines fachlich wie institutionell “kompetenten” Lehrers (und auf sein prüfendes Urteil ausgerichtet) erstellt werden, sondern er soll die Bedingungen, Prinzipien, Methoden und Verwendungsweisen dieser entstehenden, aber auch der dort verwendeten erklärenden (orientierenden) Erzählungen selbst thematisieren.

    4. Das ist mit der Formel der “Sinnbildung über Zeiterfahrung” durchaus kompatibel. Zunächst meint Zeiterfahrung ja keineswegs, dass reine Zeit erfahren und verarbeitet werden müsste. Zeit lässt sich immer nur durch Veränderung in ihr überhaupt erfahren. Ereignislose Zeiten und solcher heftiger Veränderungen werden anders wahrgenommen. Wenn bei Rüsen von “Zeiterfahrung” die Rede ist, dann meint er also weder die Erfahrung der reinen physikalischen Zeit, noch nur die Erfahrungen von Veränderungen in der Zeit, sondern die Tatsache, dass letztere erst dann orientierend verarbeitet werden können, wenn auch ihre Zeitlichkeit mit verarbeitet ist. Das muss keineswegs so philosophisch existentiell sein, wie es die von Rüsen zitierte Formel der ‘deutenden Verarbeitung der Zeitlichkeit des eigenen Lebens’ suggeriert. Das gilt auch dort schon, wo etwa ganz konkrete Interessen sich auf mehr oder aber weniger weit Zurückliegendes beziehen – oder wo gerade die Dauer oder aber die Veränderung, das Alter oder der moderne Charakter der Phänomene wesentlicher Bestandteil des Interesses ist. “Pures Interesse” und “Neugier” wäre dann, wenn es um Historisches geht, eben doch ein auf Zeit bezogenes, die zeitliche Verortung des Gegenstandes konstitutiv mit reflektierendes Motiv. Das eben ist dann das, was historisches Denken und Lernen von anderem unterscheidet. Man kann sich somit sehr wohl aus “purem Interesse” mit vergangenen Gegenständen befassen – aber historisch ist es dann doch nur, wenn auch die Zeitbezüge bedacht und reflektiert werden, wenn es nicht gleichgültig ist, dass man sich aus einer retrospektiven Perspektive damit beschäftigt, welcher prinzipiell und konstitutiv auch ein Bewusstsein davon gegeben ist, dass dieser Gegenstand so nicht mehr existiert, dass es zwischenzeitliche Veränderungen gegeben hat etc.

    Anm. der Redaktion:
    Andreas Körbers Weblog: Historisch Denken Lernen

  7. Replik
    Jörn Rüsen hat Recht: Meine Kritik an seiner Formel “Sinnbildung über Zeiterfahrung” und ihrem Gebrauch war nicht frei von Polemik. Immerhin hat dies zu einer vergleichsweise intensiven Diskussion geführt. Ich versuche ein sehr knappes persönliches Resümee.

    1) Offenkundig sind interne Klärungen von Begriffen und Konzepten innerhalb der Disziplin notwendig. Das haben auch der Beitrag “Abschied vom Geschichtsbewusstsein” (Holger Thünemann) und die Diskussion darüber gezeigt. Ständige formelhafte Wiederholungen und “Anrufungen” verdecken tendenziell diesen Klärungsbedarf.

    2) Alternative Begriffe und Formulierungen (wie sie hier von Nicola Brauch und Andreas Frings vorgeschlagen worden sind) sollten nicht von vornherein verworfen werden; natürlich bedürfen sie der “Prüfung und Diskussion“ (Andreas Körber).

    3) Alte Begriffe und Konzepte müssen innerhalb von neuen Bildungskontexten neu überdacht werden (Martin Lücke).

    4) Theorieanspruch oder die Berufung auf die Auslegungsbedürftigkeit von Texten sollten keine Entschuldigung für Begriffsunschärfen sein.

    5) Geschichtsdidaktische Begriffe und Konzepte sollten sich nicht nur an “Eingeweihte” richten (Andreas Frings: “Esoterik”). Geschichtsdidaktik muss Außen- und Breitenwirkung erzielen wollen, nicht ausschließlich, aber vor allem in die Schule hinein. Dafür brauchen wir Verständlichkeit (nicht zu verwechseln mit Anspruchslosigkeit).

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